Mit Jodeldiplom in den Nationalfeiertag

NÜRNBERG - Musik aus der Schweiz war der Schwerpunkt beim Nürnberger Bardentreffen 2009. Sie reicht von Sophie Hunger bis Patent Ochsner.
Ritchie hat ja so Recht: „Euch kann man Sachen verzähle, ihr versteht kei’ Wort“, spöttelt der 30-jährige Offensiv-Entertainer aus Bern, der im Nachbarland mit seiner Dialektpop-Band „Plüsch“ popularitätsmäßig zum Gegenmodell von Pur aufstieg, frohgemut von der Hauptmarkt-Bühne in die Zehntausender-Menge. „560 Kilometer von zuhause weg“ musste er beim 34. Bardentreffen, das mit der Musikszene Schweiz heuer reichlich Exotik aus der Nachbarschaft einfädelte, „zum ersten Mal auf Hochdeutsch“ umschalten. Lang hält Ritchie – grenzenloses Europa hin oder her – nicht durch. Selbst „Roxanne“ aus der „Police“-Schule wird bei ihm umgetauft ins Berndeutsch, das ja immer ein wenig nach abklingendem Halsschmerz klingt.
Aber was heißt schon Heimatland und Muttersprache bei diesem Stadtfest mit Musik und Multi und Kulti? Das Hunderttausende anlockt und abseits der Bühnen noch die Fußgängerzonen als Super-GAÜ erleben lässt, als Größten Anzunehmenden Übungsraum für Straßenmusikanten. Im offiziellen Programm, das heuer wenig Herausragendes in der Wundertüte hatte und gestern Nacht mit Dark-Wave-Ikone Anne Clark zu Ende ging (Bericht folgt), vermengten sich Sprachen und Stile zur typischen Nürnberger Klangwolke. Tibetisch (kleine Friedens-Salbung von Yungchen Lhamo) neben Samisch (die schwedischen A-Cappella-Goldkehlchen von Kraja zwitscherten sich mühelos in Hirn und Herz), Bantu neben Bayerisch – der Weg ist das Ziel? Weg ist das Ziel. Es geht vorwärts in alle Richtungen.
Schweizer Kreuze, aufgepflanzt auf Rucksäcke oder in offene Fenster gehängt, wiesen den Weg zu einer Szene, die zwischen Wurzelbehandlung und Weltoffenheit unterwegs ist. Selbst Christina Zurbrügg, die Quetschenspielerin mit dem Jodeldiplom, pirscht sich – nachdem sie in St. Katharina Sonnencreme aufgelegt hat – mit Didgeridoo, Reggae und Wiener Varianten des „Dudelns“, also Jodelns, ans hinreißend gesungene Hollo-lo-uri-dijöh. Freilich ist ein Hubert von Goisern längst zwei Bergketten weiter mit seinem Konzeptansatz als die charmante Schweizermacherin.
Sprachkenntnisse wie bei ihr, Linard Bardill oder dem Frauen-Duo Chére Francoise fallen bei Max Lässers instrumentalem Überlandorchester flach. Der Eindruck des Unrunden, Zuspätgekommenen auch. Mit Hackbrett, quer gelegter Gitarre, Drums, Geige und Quetsche nimmt das groovende Septett Ländler und Polkas als überraschende Knetmasse. Öko-Treibstoff für höhensicheren Swiss-Country auf Lambchop-Basis. Stark.
Sophie Hunger, Zürcher Diplomatentochter und Darling der Kritiker, knackte mit einer einzigen Skurril-Ansage über Nürnberger Tierschutzgruppen die tastende Stimmung. Dann zündeten ihre intimen Songs über Spiegelbilder und Großstadtlichter in der Masse. Klangfarbenreich die Arrangements, famos die Band. Und „Like a Rolling Stone“ als Rausschmeißer der Dylan-Verehrerin mit ihrer Stimme zwischen Chrissie Hynde und Björk war ganz selbstbewusstes Ausrufezeichen.
Dylan schwebte auch bei den Mundart-Magiern von Patent Ochsner, die mit dem Gefühls-Pop von Ritchie den Berner Abend am Schweizer Nationalfeiertag komplett machte, kurz über dem Hauptmarkt ein. „Knockin on Heaven’s Door“ als Implantat in einem Duftmarkenprogramm, das Frontmann Büne Huber, gut sichtbar ganz Bauchmensch, als Abriss einer Schweizer Großkarriere angelegt hatte, wo mit „Bälpmoos“, dem Song über einen Provinzflughafen, gleich das Sehnsuchtsziel zum Abheben angesteuert wurde. Der Bläser- und Streicher-gestützte Zirkussound der Neun-Mann-Band wurde zwar domestiziert, aber an der Phantasie kitzeln die Lieder über die „W. Nuss vo Bümpliz“, Perlenschlecker und „Apollo 11“ weiter. Da geht’s den Hörern wie den Astronauten: Es sind kleine Schritte der Menschheit, die bleiben. Andreas Radlmaier