Mit dem Urteil stellt Gericht Wolbergs' Ehre wieder her
Regensburg (dpa/lby) - Er ist seines Amtes enthoben, finanziell ruiniert und öffentlich vorverurteilt worden: Mit seinem Urteil hat das Landgericht Regensburg zumindest die Ehre des vorläufig suspendierten Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs wiederhergestellt. Ausführlich erläutert die Vorsitzende Richterin Elke Escher am Donnerstag, weshalb die Wirtschaftsstrafkammer davon abgesehen hat, gegen Wolbergs eine Strafe zu verhängen, wenngleich sie ihn in zwei Fällen der Vorteilsannahme schuldig gesprochen hat. Fazit: Der 48-Jährige ist durch das Verfahren beruflich und wirtschaftlich vernichtet und gesundheitlich schwer belastet - somit genug gestraft.
Wolbergs musste sich neun Monate lang wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz und Vorteilsannahme verantworten. Es ging dabei unter anderem um die Frage, ob Spenden des mitangeklagten Bauunternehmers Volker Tretzel an die SPD im Kommunalwahlkampf 2014 und an den Fußballverein SSV Jahn Regensburg bei der Vergabe eines Bauprojektes an Tretzels Firma eine Rolle spielten. Zudem sollte er laut Anklage private Vorteile erhalten haben.
Von den meisten dieser Tatvorwürfe sprach das Gericht Wolbergs frei. Zu den beiden Vorteilsannahmen in den Jahren 2015 und 2016, für die er am Mittwoch schuldig gesprochen wurde, sagt Escher: "Er ging davon aus, zur Annahme der Spenden berechtigt gewesen zu sein." Ihm sei deshalb die Rechtswidrigkeit seines Tuns nicht bewusst gewesen. Er habe nicht den Schluss gezogen, dass aus der Annahme der Spenden der Anschein der Käuflichkeit seiner Entscheidungen erweckt worden sei. Deswegen handelte es sich um einen Verbotsirrtum - der aber vermeidbar gewesen wäre, hätte sich Wolbergs juristisch beraten lassen, sagt Escher.
Die Rechtslage sei hier äußerst kompliziert. Das Verhältnis zwischen den Korruptionstatbeständen und dem Parteiengesetz werde in der juristischen Fachwelt kontrovers diskutiert. Für einen juristischen Laien wie Wolbergs erschließe sich die Problematik nicht ohne Weiteres. Mehrfach habe der Politiker glaubhaft beteuert, sich nicht habe kaufen lassen. Zudem müsse man ihm zugute halten, dass die Spenden auch bei mehreren Kassenprüfungen nicht beanstandet worden seien. Die Spendenannahme "beruhte auf keiner laxen Grundeinstellung zum Recht, sondern war der komplizierten Rechtslage geschuldet".
Dass das Gericht von einer Strafe absah, begründet es mit Paragraf 60 im Strafgesetzbuch. Dieser lautet: "Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat." Dieser Paragraf werde nur selten angewandt, sagt Escher. Er sei jedoch keine Ermessensfrage, sondern zwingend - sofern die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien. Das sei bei Wolbergs der Fall.
Escher geht auf die Auswirkungen ein, die der Prozess für Wolbergs mit sich brachte: "Das Verfahren hat zum finanziellen Ruin geführt." So seien mit der Suspendierung 2017 seine Bezüge als OB von der Landesanwaltschaft gekürzt worden. Um die Anwaltskosten zahlen zu können, habe er finanzielle Rücklagen und sein zu erwartendes Erbe aufgebraucht. Wolbergs selbst hatte im Laufe des Verfahrens gesagt, sich einen weiteren Prozess nicht mehr leisten zu können.
Wolbergs' berufliche Existenz sei zerstört, sagt die Richterin. Es sei unklar, ob oder wann er in sein Amt zurückkehren werde. Angesichts dreier weiterer Anklagen gegen Wolbergs im Zusammenhang mit Parteispenden sagt Escher: "Es ist nicht absehbar, wann er wieder einer geregelten Arbeit nachgehen und ein selbstbestimmtes Leben führen kann." Und: "Es kann noch nicht einmal gesagt werden, ob die Staatsanwaltschaft nicht noch weitere Anklagen wegen was auch immer nachschiebt."
Die Ermittlungen und das Verfahren seien belastend gewesen, zumal monatelang über Vorwürfe verhandelt worden sei, die sich größtenteils nicht bestätigt hätten. Er sei öffentlich vorverurteilt worden und die mediale Berichterstattung beispiellos. Letztlich stelle auch der Bruch mit der SPD, mit der sich Wolbergs seit 30 Jahren identifiziert habe, einen tiefgreifenden Einschnitt dar.
Bis heute sei Wolbergs in psychologischer Behandlung, um die Erlebnisse seit Ermittlungsbeginn verarbeiten zu können, führt Escher aus. So habe ihn beispielsweise seine Inhaftierung 2017 in der Tiefgarage seines Wohnhauses in einen Schockzustand versetzt, weil er zunächst von einem Überfall ausgegangen war.
Der Augsburger Strafrechtler Michael Kubiciel kommentierte in der "Mittelbayerischen Zeitung" das Urteil folgendermaßen: "Auch wenn das Landgericht den Vorwurf Bestechung/Bestechlichkeit in der Hauptverhandlung nicht zugelassen hat, so muss man sehen, dass Vorteilsgewährung und -annahme Korruptionsstraftaten sind." Es entlaste Wolbergs allerdings deutlich, dass die Vorwürfe, "er habe sich oder ihm Nahestehende willentlich persönlich bereichert, mit diesem Urteil vom Tisch sind". Außerdem hebe das Urteil hervor, Wolbergs habe ohne Unrechtsbewusstsein gehandelt.
Kubiciel sprach von einer großen Rehabilitation von Herrn Wolbergs, aber auch als Teilrehabilitation der Staatsanwaltschaft. Diese sei mit dem Urteil nicht in allem widerlegt worden. Die Organisation Transparancy Deutschland hatte nach dem Urteil mitgeteilt, dieses dürfe nicht den Eindruck erwecken, "dass unsaubere Absprachen, Verstöße gegen das Parteiengesetz und die Verschleierung von Interessenkonflikten in Ordnung sind". Der Fall um die insgesamt vier Angeklagten habe gezeigt, dass die aktuellen Regelungen bei der Parteienfinanzierung nicht ausreichen. Diese müssten verschärft werden. Wolbergs selbst hatte im Laufe des Prozesses eine Reform der Parteienfinanzierung gefordert.
Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Urteilsspruch Revision angekündigt. Die Behörde hatte viereinhalb Jahre Haft gefordert. Wolbergs bleibt vorerst suspendiert.
Um 15.00 Uhr endet Richterin Escher den Marathonprozess mit den Worten: "Damit wäre die Verhandlung abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Geduld und verabschiede mich."
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