Millionen-Skandal bei Kirche: Wie tief ist der Sumpf noch?

Nicht nur der Finanzboss der Evangelisch- Reformierten, Günther H., ist im Visier: Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt auch gegen den Chef und seinen Stellvertreter wegen Verdachts der Untreue.
von  Abendzeitung
Das Führungs-Trio der Religionsgemeinschaft: Kirchenchef Joachim M. (Mitte), Stellvertreter Hartmut D. (links) und Finanz-Chef Günther H.
Das Führungs-Trio der Religionsgemeinschaft: Kirchenchef Joachim M. (Mitte), Stellvertreter Hartmut D. (links) und Finanz-Chef Günther H. © abendzeitung

Nicht nur der Finanzboss der Evangelisch- Reformierten, Günther H., ist im Visier: Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt auch gegen den Chef und seinen Stellvertreter wegen Verdachts der Untreue.

NÜRNBERG Die Affäre um die verschwundenen Gelder der evangelisch-reformierten Kirche in Bayern hat das gesamte Führungsgremium der Religionsgemeinschaft erfasst. Wie der AZ aus Kreisen der Behörden bestätigt wurde, wird von der Staatsanwaltschaft nicht nur gegen Finanzchef Günther H. (67) wegen des dringenden Verdachts der Untreue ermittelt. Sondern auch gegen das geistliche Oberhaupt Joachim M. und dessen Stellvertreter Hartmut D.! Wie tief ist der Sumpf noch?

Erst durch eine anonyme Anzeige kam der Stein ins Rollen

In einer umfangreichen Erklärung hatte Präses Joachim M. den Nürnberger Steuerberater Günther H., der die Finanzgeschäfte der Gemeinde abwickelte, als Alleinschuldigen dargestellt, der rund zehn Millionen Euro, das gesamte Vermögen der Kirche, in dunkle Kanäle verschwinden ließ. Er selbst sowie sein Stellvertreter hätten seiner Einschätzung zufolge nur die Verantwortung zu tragen, keine ausreichenden Kontrollen vorgenommen zu haben.

Ganz so locker sieht die Staatsanwaltschaft die Rolle der Kirchen-Bosse allerdings nicht. Immerhin findet sich auf Dokumenten, die Grundlage für undurchsichtige Finanztransfers waren, auch die Unterschrift von Kirchen-Chef Joachim M. Der behauptet, dass diese Unterschriften in einzelnen Fällen gefälscht worden oder auf für ihn nicht erklärbare Weise dorthin gelangt seien. Ein Behördenvertreter: „Das kann man glauben – oder auch nicht.“

Keine besonders gute Figur gibt das Führungsgremium auch in anderer Hinsicht ab. Obwohl die Hinweise auf unlautere Machenschaften schon Monate lang unübersehbar waren, sah sich Joachim M. nicht veranlasst, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Sollte die Affäre womöglich sogar unter den Tisch gekehrt werden? Dem machte ein Unbekannter, der Ende Mai eine Anzeige erstatte, einen Strich durch die Rechnung. Joachim M. fährt jetzt, sechs Wochen später, einen Beschwichtigungskurs: „Der anonyme Hinweisgeber ist uns nur zuvor gekommen. Auch wir wollten Anzeige erstatten.“

Kirchenmitglieder fordern bereits den Rücktritt des Präses

Unbemerkt von seinen Vorgesetzten soll Finanzchef Günther H. die Kirchenkasse ab 2004 zum Selbstbedienungsladen gemacht haben. Rund acht Millionen Euro, als Darlehen deklariert, landeten auf Konten von Firmen, die dem obersten Kassenwart selbst gehörten, oder an denen er als Gesellschafter maßgeblich beteiligt war. Selbst als die erste „Darlehenszahlung“ in Höhe von 2,6 Millionen Euro ruchbar wurde, schritt der Kirchen-Chef nicht ein. Vielmehr sorgte Joachim M. mit dafür, dass der ungewöhnliche Finanztransfer im Nachhinein gebilligt wurde. Er zog auch dann nicht die Notbremse, als sich sein Kassenchef immer wieder und jahrelang vor Rechnungsprüfungen drückte und immer neue Ausreden erfand.

Seit Bekanntwerden des Skandals in der vergangenen Woche geht es für Kirchenchef Joachim M. nur noch darum, seinen Kopf zu retten. Empörte Kirchenmitglieder haben gegenüber der AZ bereits seinen Rücktritt gefordert. Dieses Wort nahm Joachim M. bisher nicht in den Mund. Immerhin erklärte er aber: „Als Präses stehte ich zu der Verantwortung, die ich mit diesem Amt übernommen habe.“ Helmut Reister

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.