Migräne: Was Sie gegen die Hölle im Kopf tun können

Sie ist eine Marter für Millionen. Über 60.000 Nürnberger werden von Anfällen heimgesucht!
NÜRNBERG Sie ist gerade aufgewacht, da geht es schon los. In ihrem Kopf fängt es an zu pochen und zu pulsieren. Elisabeth Tischler* (30) fühlt sie wieder kommen: Die gefürchteten Schmerzen, die sich wie gierige Krakenarme über ihre linke Kopfseite ausbreiten und sie schließlich so fest umklammern, als wollten sie die Gehirnhälfte regelrecht herausreißen.
Schmerztherapeut Dr. Andreas Bickel, Privatdozent und leitender Oberarzt der Neurologie am Klinikum Süd, erinnert sich sehr gut an diese Patientin. „Sie war ein typischer Migräne-Fall, bei dem die Attacken über die Jahre immer schwerer und am Ende chronisch wurden.“ Die Anfälle setzten sie im schlimmsten Fall über Tage außer Gefecht. Zunächst nur wenige Male im Monat. Als dann ihr Kind zur Welt kam und Stress und Schlafmangel zunahmen, traten die Attacken immer häufiger auf, zuletzt sogar täglich.
„Migräne-Patienten haben häufig einen sehr hohen Leistungsanspruch“, erklärt der Spezialist. So wollte auch Elisabeth Tischler um jeden Preis Kind und Arbeit unter einen Hut bringen. In ihrem Job als Vorstandssekretärin saß ihr der Chef ohnehin die ganze Zeit im Nacken. Doch statt sich Hilfe beim Arzt zu holen, „behandelte“ sie ihre Schmerzen selbst.
Die Sekretärin entwickelte eine Art morgendliches Ritual, aus dem unmerklich ein tückischer Teufelskreis wurde. Schon wenn sich die Kopfschmerzen nur leicht ankündigten, nahm sie die ersten Schmerztabletten. Anschließend erbrach sie sich. Danach ging es ihr zunächst besser. Sie konnte ihre Tochter in die Kita bringen und zur Arbeit gehen. Der Teufelskreis: „Werden die Tabletten täglich eingenommen, wirken sie irgendwann nicht mehr gegen den Schmerz, sondern lösen ihn unter Umständen sogar aus“, warnt Neurologe Bickel.
Die Zahlen sind erschreckend: Über 60.000 Nürnberger werden regelmäßig von Migräne-Anfällen geplagt! Der Experte: „Wie bei allen Formen von Kopfschmerzen, sind Frauen häufiger betroffen.“ Im Erwachsenenalter dreimal mehr als Männer. Bis zur Pubertät ist das Verhältnis ausgeglichen. Warum das so ist, weiß man nicht.
Dr. Andreas Bickel: „Im Gegensatz zu „normalen“ Kopfschmerzen ist bei Migräne an ein normales Arbeiten nicht mehr zu denken.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Migräne zu den zehn Erkrankungen, die die Lebensqualität am meisten einschränken. Nach Rückenschmerzen und Infekten, ist Migräne einer der Hauptgründe für Fehltage am Arbeitsplatz.
Trotz dieser Erkenntnisse, „haftet der Erkrankung immer noch etwas Anrüchiges an“, stellt Bickel fest. Sie wird immer noch von vielen als billige Ausrede für jede Lebenslage angesehen – derer sich vor allem gern Frauen bedienen.
Die Symptome:
Pochende, pulsierende, meist halbseitige Kopfschmerzen, die mit Übelkeit und Empfindlichkeit gegen Licht, Geräusche, Gerüche einhergehen. Attacken können einmal im Jahr bis mehrmals die Woche auftreten und zwischen vier Stunden und drei Tagen andauern.
Die Auslöser:
„Migräne hat nicht immer benennbare Auslöser“, so Dr. Bickel. Aktuelle Studien sagen aus, dass die Erkrankung genetisch bedingt ist.“ Stress, Schlafmangel, Alkohol oder Hormonschwankungen spielen eine Rolle, was die Häufigkeit und Intensität der Attacken angeht.
Was passiert im Körper?
Migräne ist eine Fehlfunktion im Hirn. Das Organ sendet unkontrolliert Botenstoffe aus, die an den Gefäßen der Hirnhaut Entzündungen verursachen. So entstehen die Schmerzen.
Wann zum Arzt?
Dr. Bickel: „Für Betroffene ist es oft schwierig, den Punkt zu erkennen, wann ein Gang zum Arzt angebracht wäre. Für viele ist es außerdem schwierig, für eine scheinbare Bagatelle wie Kopfweh Hilfe anzunehmen.“
Grundsätzlich gilt:
Wenn Kopfschmerzen an mehr als zehn Tagen pro Monat auftreten, weitere Symptome wie Lähmungen, Gefühls-, Seh-, oder Gleichgewichtsstörungen hinzukommen oder die Schmerzen immer stärker werden, dann am besten zu einem Spezialisten gehen: zu einem Neurologen, oder einem auf Kopfschmerzen spezialisierten Schmerztherapeuten. mp
*Name geändert
Wie in der Zukunft Botoxspritzen gegen Migräne eingesetzt werden können, lesen Sie in der Print-Ausgabe ihrer AZ am Freitag, 27. August