„Mich sollen andere benoten!“

Zum Schulstart spricht der Bildungsminister über die größten Baustellen in seinem Ressort: Lehrermangel und das achtstufige Gymnasium.
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Kultusminister Siegfried Schneider im Interview mit AZ-Redakteurin Julia Lenders
Gregor Feindt Kultusminister Siegfried Schneider im Interview mit AZ-Redakteurin Julia Lenders

Zum Schulstart spricht der Bildungsminister über die größten Baustellen in seinem Ressort: Lehrermangel und das achtstufige Gymnasium.

AZ: G8-Stress, Lehrermangel – viele Eltern würden Ihnen, derzeit kein gutes Zeugnis ausstellen. Haben Sie Angst nachsitzen zu müssen – oder gar durchzufallen?

SIEGFRIED SCHNEIDER: Die meisten Eltern, mit denen ich rede, berichten mir: ,An unserer Schule läuft es ganz gut.' Und auch die meisten Gymnasien schildern, dass sie mit dem G8 gut zurechtkommen. In den Medien entsteht bisweilen ein anderer Eindruck. Das liegt vielleicht daran, dass die Fälle, die nicht so gut funktionieren, in der Öffentlichkeit sehr bewusst diskutiert werden. Mit der Einführung des G8 wurden Eltern und Lehrer überrascht. Da entwickelte sich eine Grundstimmung, die dem G8 sehr reserviert gegenüber stand. Und die ist noch in Teilen der Eltern- und Lehrerschaft vorhanden. In Gesprächen vor Ort relativiert sich das aber.

Im April haben Sie medienwirksam angekündigt, dass 2245 zusätzliche Lehrerstellen bereit gestellt werden. Doch der Bewerbermarkt ist leergefegt. Handelt es sich bei den versprochenen Lehrern um Menschen aus Fleisch und Blut? Oder um Finanzposten?

Es ist Geld in einem Umfang von 2245 Lehrern. Das sind Mittel, um damit Lehrkräfte einzustellen – in der Regel mit einem Angestelltenvertrag. Oder Mittel, damit die Schulen zum Beispiel Mehrarbeit finanzieren oder Vertretungskräfte mit einstellen können.

Werden die Menschen nicht getäuscht, wenn ständig neue Lehrer versprochen werden – und die Schulen stattdessen nur Geld bekommen?

Das Geld unterrichtet ja nicht. Es sind tatsächlich Menschen, die unterrichten. Aber es sind nicht nur Lehrkräfte, die ich den Schulen neu zuweise. Sondern die Schulen bekommen Geld, um damit zum Beispiel Diplom-Mathematiker unterrichten zu lassen.

Im neuen Schuljahr werden trotzdem über 1200 Lehrer an bayerischen Gymnasien fehlen.

In den Schulen sind Fachkräfte vorhanden, die unterrichten. Was aber stimmt: Wenn Gymnasiallehrer arbeitslos wären, könnte ich mehr als 1000 davon neu einstellen. Sie sind aber nicht da. Also müssen die Schulen – etwa durch Überstunden oder durch Lehrkräfte, die ihre Teilzeit erhöhen – diese Zahl ausgleichen.

Das klingt ein wenig nach Wortklauberei. Man kann das Problem nicht so klein reden, oder? Letztes Jahr gab es sogar den Fall, dass der Lehrermangel mit Hilfe von Studenten aufgefangen werden musste.

In Finnland zum Beispiel ist es völlig normal, dass Studenten dort einspringen, wo Unterricht ausfällt. Wenn in Bayern ein Schulleiter sagt, ich kenne die Personen und ich traue ihnen zu, dass sie gut unterrichten können, dann werde ich nicht Nein sagen. Das liegt auch in der Verantwortung der Schuldirektoren. Aber in der Regel sind es ausgebildete Lehrkräfte oder Universitätsabsolventen mit Diplom-Abschlüssen, die zusätzlich an die Schulen kommen.

Ist eine verfehlte Einstellungspolitik für den Lehrermangel verantwortlich?

Es gab eine Phase, in der zu wenig junge Menschen begonnen haben, ein Lehramtsstudium aufzunehmen. Das liegt jetzt sechs, sieben, acht Jahre zurück. Doch jetzt sind die Zahlen der Lehramtsstudierenden wieder im Steigen begriffen. Es gibt große Anstrengungen, die Fächer Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften zu stärken. Die Entscheidung, welches Fach und mit welchem Abschluss jemand studiert, die kann ich aber nicht beeinflussen. Ich kann nur bekannt machen und darauf hinweisen, in welchen Fächern erhöhter Bedarf ist.

Was für Auswirkungen wird der Lehrermangel im neuen Schuljahr haben? Werden viele Stunden ausfallen?

Der Stundenausfall ist in den vergangenen Jahren in allen Schularten konsequent zurückgegangen – mit Ausnahme des Gymnasiums. Da werden in diesem Schuljahr große Anstrengungen unternommen. Ich gehe aber davon aus, dass wir einen guten Start haben.

Eine riesige Baustelle in der Bildungspolitik ist nach wie vor das G 8. Werden die Schüler auch im neuen Schuljahr wieder die 40-Stunden-Woche und Termin-Kalender wie Manager haben?

Kein Terminkalender wie ein Manager

Wir haben mit den Eltern und dem Philologenverband einen neuen Rahmen vereinbart. Der verpflichtende Unterricht wurde etwas reduziert. Mit der Konsequenz, dass in der fünften Jahrgangsstufe kein Nachmittagsunterricht verpflichtend stattfindet. In der sechsten bis achten ein verpflichtender Nachmittag. Und in der neunten und zehnten zwei. Das ist einstimmig mit den Elternvertretern so vereinbart. Ich gehe davon aus, dass mit diesem Rahmen und der Reduzierung von Detailinhalten des Lehrplans ein gutes Stück Beruhigung eintritt.

Warum hat es seit Einführung des G8 so lange gedauert, bis abgespeckt wurde?

Es hat eigentlich nicht lange gedauert. Wir haben die Erfahrung in der 5. Klasse jetzt durch vier Jahrgänge, in der sechsten durch drei Jahrgänge, in der siebten durch zwei. Ein gewisser Erfahrungsüberblick ist hier notwendig. Lehrpläne werden zunächst erst einmal am sogenannten grünen Tisch gemacht. Und dann muss die Praxis zeigen: Ist das genauso umsetzbar? Als ich Minister wurde, war der erste Auftrag an die Schulen, mir zu melden, wie die Umsetzbarkeit des Lehrplans ist. Und aufgrund der Rückmeldungen wurde jetzt die Revision vorgenommen.

Neben Lehrermangel und G8 ist ein drittes Fach, in dem Bayern noch nachsitzen muss, die Bildungsgerechtigkeit. Nirgendwo in Deutschland ist der Ausbildungsgrad so abhängig von der Gesellschaftsschicht. Warum?

Das ist eine falsche Interpretation. Die Pisa-Studie sagt, nirgendwo ist der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Kompetenz – also dem, was jemand tatsächlich kann – so gering wie in Bayern. Anders formuliert: Nirgends hat eine Schülerin und hat ein Schüler – unabhängig vom Elternhaus – bessere Chancen, sich Kompetenzen anzueignen als in Bayern.

Aber der letzte bayerische Bildungsbericht hat etwas anderes ausgesagt.

Wenn ich nur den Übertritt ans Gymnasium betrachte, haben wir tatsächlich weniger Übertritte als andere Länder. Da kann ich diesen Vorwurf zwar herauslesen. Hinzu kommt aber, dass Jemand, der die Realschule oder die Hauptschule besucht, das Abitur genauso über die Fachober- und Berufsoberschule erwerben kann. Knapp 43 Prozent der Hochschulzugangsberechtigten haben ihr Abitur nicht an einem Gymnasium erworben. Das wird in vielen Studien überhaupt nicht wahrgenommen.

Welche Note würden Sie sich als Bildungsminister selbst geben?

Ich lasse mich lieber von anderen benoten.

Interview: Julia Lenders

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