Medizin-Sensation: So retteten sie das Koma-Baby
Die 40-jährige Mutter lag nach einem Herzinfarkt im Wachkoma – der Bub kam per Kaiserschnitt zur Welt
ERLANGEN Es war Heiligabend, als Matthias W. Beckmann, Direktor der Frauenklinik der Uni-Klinik Erlangen, den Anruf bekam, der ihm zu einer Weltsensation verhelfen sollte. Eine Frau (40) hatte einen Herzinfarkt erlitten, sie konnte wiederbelebt werden – doch das Gehirn war eine halbe Stunde ohne Sauerstoff.
Was den traurigen Fall so brisant machte: Die Frau war in der 13. Woche schwanger. Es gab Diskussionen, es gab Zweifel, das Ethikkomitee der Uni wurde eingeschaltet. „Sowas kann man nicht allein entscheiden“, erinnert sich Beckmann. Er trommelte seine Kollegen zusammen – und sie beschlossen: „Wenn das Kind lebensfähig ist, werden wir uns für das Kind entscheiden müssen.“
Das Gehirn der Mutter war zu 70 Prozent zerstört
Jetzt ist der Bub seit eineinhalb Jahren auf der Welt – und jetzt ist sicher: Er ist gesund!
„Wir haben eigentlich mit einem Misserfolg gerechnet“, gestand Beckmann. Seine Patientin hatte nur noch 25 Prozent der Herzleistung, sie war Diabetikerin, das Cholesterin war zu hoch. Die werdende Mutter wog über 100 Kilo, war starke Raucherin und hatte Medikamente eingenommen, die für Schwangere verboten waren. Das Gehirn der Hausfrau war durch den Sauerstoffmangel zu 70 Prozent zerstört worden. Damit könne man leben, sagt Beckmann, aber keine Persönlichkeit entwickeln. Aber: Die Frau atmete – und das Kind entwickelte sich normal weiter.
Weltweit sind rund 25 Fälle einer Schwangerschaft von Patientinnen im Wachkoma bekannt. Doch keiner versammelte so viele Risikofaktoren. Die meisten endeten mit Frühgeburten. „Es wurde nie dokumentiert, welche Schäden die Kinder davongetragen haben“, erklärt Beckmann.
Die Patientin bekam ein Einzel-Intensivzimmer mit großem Fenster. Gynäkologen, auf Neu- und Ungeborene spezialisierte Kinderärzte, Kardiologen, Neurologen, Diabetes-Experten, HNO-Ärzte und Anästhesisten kümmerten sich um sie. Ihrer künstlichen Ernährung wurden für das Baby wichtige Folsäure und Vitamine zugefügt. Per Ultraschall untersuchten die Mediziner regelmäßig auch das Kind – und freuten sich über seine Bewegungen. Die Behandlung verschlang eine sechsstellige Summe, die zum Großteil die Krankenkasse übernahm.
Die Kinder – die psychologisch begleitet wurden – besuchten ihre Mama, sprachen sie an, küssten und streichelten sie, versuchten sie „aus dem Schlaf zu wecken“. Die beiden brachten von ihnen besprochene Hörcassetten und selbst gemalte Bilder mit, die der Pflegedienst an die Wand hängte. Auch der Vater des Ungeborenen – der als Unverheirateter keine Rechte hat – besuchte die Frau.
"Wir mussten erstmal lernen, mit der Situation umzugehen“
Für die Pflegerin Andrea Maywald und ihr Team bedeutete die Patientin Schwerstarbeit: Sieben Mal täglich musste die mit wachsendem Bauch immer schwerer werdende 100-Kilo-Frau gedreht werden. Sie sangen, streichelten den Bauch. „Anfangs war das schwierig, wir mussten erstmal lernen, mit der Situation umzugehen“, sagt sie.
Nach 25 Wochen Intensivpflege klingelte bei Matthias W. Beckmann morgens um 4.30 Uhr das Telefon. Die Frau hatte sechs Wochen vor dem errechneten Termin einen Blasensprung. Wenige Minuten später stand er im OP und entband um 5.38 Uhr per Kaiserschnitt einen 2390 Gramm schweren Buben.
Inzwischen ist der Junge eineinhalb Jahre alt. Er hatte die Reanimation und auch die ungewöhnliche Schwangerschaft ohne Schaden überstanden. Das bewiesen Tests, die auch bei Frühchen mit 18 Monaten gemacht werden. Beckmann ist stolz: „Es ist ein pfiffiges Kerlchen, das schon laufen kann.“
Andrea Uhrig
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