Markus Söder: Bundeskanzler? Mein Platz ist in Bayern!

Münchner - Markus Söder (52) ist seit März 2018 bayerischer Ministerpräsident und seit Januar 2019 CSU-Vorsitzender.
AZ: Herr Ministerpräsident, Ihre Kinder haben zwar nicht bei "Fridays for Future" demonstriert, Sie aber persönlich aufgefordert, etwas fürs Klima zu tun – sie haben einen "ernsthaften Plan, keine Lippenbekenntnisse" gefordert. Sind Ihre Kinder mit dem Klimapaket zufrieden?
MARKUS SÖDER: Sie spüren, dass wir was tun – aber so, dass es nicht nur für einen Tag oder eine Demo hält, sondern langfristig wirkt und auch alle mitnimmt. Die Kunst wird sein, ein ökologisch und ebenso sozial gerechtes Konzept zu finden. Es wäre falsch, wenn der Kampf gegen Erderwärmung zur sozialen Kälte führt.
Die Bundesregierung hat ihr Klimaschutzpaket schon abgeschwächt. Gleichzeitig protestiert mit "Extinction Rebellion" eine noch radikalere Gruppierung für mehr Klimaschutz. Wie passt das zusammen?
Da wird nichts abgeschwächt. Allerdings gilt der Grundsatz Seriosität vor Nervosität. In der Tat mache ich mir aber Sorgen, dass es zu radikaleren Wegen in der Klimabewegung kommen kann. In diesem Raum hier bin ich mit jungen Menschen von "Fridays for Future" zusammengesessen. Ich habe da junge Leute mit großem Wissen erlebt, die mich mit ihrem Engagement auch beeindruckt haben. Wenn der Protest jetzt in radikalere Formen ausufert, wird das weite Teile der Bevölkerung abschrecken. Die Menschen wollen Klimaschutz mit vernünftigen Maßnahmen. Wir stehen zu einem ambitionierten Klimaschutz. Es darf aber nicht zu einer Spaltung Stadt-Land oder arm-reich führen.
Thema Taktverdichter: "Das darf sich nicht wiederholen"
In Städten kann man leicht auf Busse und Bahnen ausweichen. Der teurere Sprit trifft vor allem die Landbevölkerung. Wie konkret wollen Sie diese Spaltung verhindern?
Es gehört in Summe mehr dazu. Wir wollen in unserem bayerischen Programm CO2 aus der Atmosphäre nehmen, indem wir 30 Millionen neue Bäume pflanzen und Moore wiederbeleben. Es liegt nicht alles nur am Auto und am Verkehr. Erst am Montag habe ich in Nürnberg das 365-Euro-ÖPNV-Ticket auf den Weg gebracht. Der Münchner MVV ziert sich noch. Wir versuchen, alles anzupacken, was nötig ist. Aber ganz ohne Auto wird es nicht gehen. Wir setzen auf neue Antriebsarten und synthetische Treibstoffe. Aber jemandem auf dem Land zu verbieten sich fortzubewegen, wäre der völlig falsche Weg. Und die Pendlerpauschale ist gerade zugunsten des ländlichen Raums gedacht.
Beim Klimaschutz setzen Sie auf technologischen Fortschritt. Das klingt etwas nach dem Prinzip Hoffnung. Was macht Sie so sicher, dass die notwendigen Innovationen auch kommen?
Nehmen Sie einen anderen Bereich: die Medizin. Der technische Fortschritt hat mit dazu beigetragen, dass die Menschen so alt werden, wie es heute der Fall ist. Es reicht nicht, ein Zurück in die Steinzeit zu fordern, sondern es geht darum, die nächste Stufe der technischen Entwicklung voranzubringen. Bei der Energieerzeugung setzen wir verstärkt auf Sonnenenergie sowie auf Power-to-Liquid-Anlagen, um Gas zu erzeugen. Es geht um ein ganzes Bündel von Maßnahmen.
Wenn man aber eine ÖPNV-Offensive ankündigt, und dann werden bei der Münchner S-Bahn Taktverdichter zu den Stoßzeiten gestrichen, dann läuft doch etwas schief.
Die Bahn hat einen Auftrag, für den sie bestellt und bezahlt wird, und den hat sie leider nicht erfüllt. Die Lage soll sich nun bessern, aber es war ärgerlich und darf sich auch nicht wiederholen. Da kommen sonst auch höhere Vertragsstrafen ins Spiel.

München wird sich beim ÖPNV ständig weiterentwickeln
Auch bei der zweiten Stammstrecke läuft nicht alles nach Plan. Woran liegt das?
Die Stammstrecke kommt voran. Aber bei Bauprojekten dieser Größenordnung geht es leider nicht hopplahopp. Und es gibt da auch immer wieder örtliche Verbesserungsvorschläge, wie jetzt die bessere Anbindung an die U9. Aufgrund des Zuzugs wird sich München ohnehin ständig beim ÖPNV weiterentwickeln müssen. Langfristig werden wir über eine Ring-S-Bahn nachdenken müssen. Das ist alles ein stetiger Prozess. Was mich umtreibt, ist, dass wir die Planungsvorhaben beschleunigen müssen. Denn wenn die Planungen länger dauern als der Bau, dann stimmt was nicht.
Wann werden wir die neue Stammstrecke nutzen können?
Wenn alles nach Plan läuft 2028.
Derzeit liegt die Kostenschätzung bei 3,84 Milliarden Euro. Was wird das Ganze am Ende gekostet haben?
Viel Geld. Das Problem ist generell, dass derzeit zu wenig Baukapazitäten vorhanden sind. Gerade in München, wo an allen Ecken und Enden gebaut wird, steigen die Preise – das lässt sich leider nicht verhindern. Daher braucht es zumindest beschleunigte Verfahren. Wir werden daher das Baurecht grundlegend entschlacken.
Söder über die Grünen: "Eine Ein-Themen-Partei"
Ihr Parteivize Manfred Weber hat eine schwarz-grüne Koalition ins Gespräch gebracht. Sie dagegen haben die Grünen zu neuen Hauptgegnern erklärt. Wie passt das zusammen?
Wenn die Grünen die Wahl haben, werden sie sich immer nach links orientieren. Im Zweifel stimmen sie eher für Rot-Rot-Grün als für Schwarz-Grün – siehe Bremen. Und man kann ja nicht ernsthaft behaupten, dass Enteignungen und Tempolimits Positionen wären, die eine CSU gut mittragen kann. Bei unseren Sondierungen nach der Landtagswahl war schon nach 15 Minuten klar, dass es schwer werden würde. Da kamen Forderungen wie ein kompletter Abschiebestopp, Kreuze abhängen und anderes mehr. Keiner weiß, was nach der nächsten Bundestagswahl passiert. Meiner Überzeugung nach besetzen wir mit den Themen Klimaschutz, Artenschutz und dem Ausgleich von Ökologie und Ökonomie schon das, was sich ein Großteil der Bevölkerung wünscht. Mir fällt auf, dass die Grünen jetzt beginnen zu überdrehen. Was wollen sie beim Benzinpreis? Doch die fünf Euro pro Liter? Dann sollen sie es auch sagen. Forderungen nach Tempolimit, Fleisch- und Flugverbot sind die typischen Forderungen von den Grünen. Mein Rat: nicht bei den Grünen anbiedern. Da gibt es sicher kluge Leute. Aber wir stehen hier im Wettbewerb. Und deshalb sind die Grünen nicht von vorneherein unser Partner, sondern ein klarer politischer Gegner.
War Webers Vorstoß ein Testballon in Ihrem Auftrag?
Nein.
Müssen Sie sich nicht doch damit abfinden, dass es womöglich – zumindest im Bund – keine andere Möglichkeit geben könnte als ein Bündnis zwischen Union und Grünen?
Die Gefahr besteht, dass man die Grünen noch größer macht, indem man sich ihnen von vorne herein als Partner anbietet. Zumal man auch sagen muss: Die Grünen sind eine Ein-Themen-Partei. Viele Menschen wählen sie wegen ihrer Umweltpolitik. Aber zu allen anderen Themen, sei es die Innere Sicherheit oder die Wirtschaftspolitik, haben sie in der Bevölkerung keine Akzeptanz. Robert Habeck ist vielleicht ein interessanter Philosoph – aber Philosophen auf dem Thron hat’s nur sehr wenige gegeben. Umso wichtiger ist, dass die Union selbst Ideengeber ist und den Takt bestimmt. Zumal es Umfragen gibt, die derzeit beide gleichauf sehen. Das wäre ja dann die nächste Große Koalition.
Bleibt die SPD in der GroKo oder nicht?
Vielleicht brauchen Sie die Grünen ja auch noch, um Bundeskanzler werden zu können?
Nein! Mein Platz ist in Bayern.
Immerhin werden sie als Kanzlerkandidat gehandelt und manche haben ja jetzt schon eine Urwahl gefordert …
...und vor einem Jahr wurde ich als Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit gehandelt. Die CSU will natürlich mitreden, was in Deutschland passiert. Und wenn es um den Kanzlerkandidaten geht, wird es ein Mitspracherecht der CSU geben müssen. Wir wären jetzt aber sehr klug beraten, die Zeitachsen zu definieren. Erste wichtige Frage ist: Bleibt die SPD in der GroKo oder nicht? Das wissen wir gegen Ende des Jahres, dann muss es vielleicht sehr schnell Neuwahlen geben. Denn von einer Minderheitsregierung halte ich für ein so großes und wichtiges Land wie Deutschland nichts. Wenn die SPD in der GroKo bleibt, wird ohnehin erst im Winter 2020/21 entschieden. Bis dahin fließt noch eine Menge Wasser die Isar hinunter.
Und wenn es dann eine Urwahl gibt?
Urwahlen sind so eine Sache. Das kann man bei der SPD sehen. Was macht man, wenn drei oder vier Bewerber um die 20 Prozent haben? Wenn es schlecht läuft, hat man nur beschädigte Kandidaten. Und auch Urwahlen garantieren keine Wahlerfolge. Wähler entscheiden nach anderen Kriterien als Parteimitglieder.
Markus Söder: "Privat fahre ich meistens mit dem Rad"
Die E-Auto-Quote in der Fahrzeugflotte der Staatsregierung ist zurückgegangen. Wie passt das zum ergrünten Ministerpräsidenten?
Wir werden im Rahmen des Klimapakets den Fuhrpark so weit wie möglich umstellen und unsere Gebäude klimaneutral gestalten, sowie versuchen, auf Flugreisen zu verzichten, wenn es auch mit dem Zug machbar ist. Wir brauchen neue Antriebe für das Automobil. Die grundlegende Schwäche der Elektromobilität ist aber die fehlende Ladeinfrastruktur. Hinzu kommt, dass die derzeitigen Batterien keine energetisch optimale Bilanz haben. Deswegen setzen wir darauf, Alternativen zu entwickeln – eine neue Generation von Batterien, mehr synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff. Ich glaube, in dieser Breite liegt auch die Chance für die Autoindustrie. Denn diese jetzt abzustempeln, wäre katastrophal für unseren Wirtschaftsstandort.
Fahren Sie privat mittlerweile ein E-Auto?
Wir arbeiten daran, dass ich als Ministerpräsident so ein Auto bekomme. Privat fahre ich meistens mit dem Rad.
Sie haben seit Ihrem Amtsantritt ein wahres Programmfeuerwerk abgebrannt. Erst kam Ihr Regierungsprogramm mit 100 Punkten. Jetzt, bei der Klausur der Landtagsfraktion, haben Sie ein Reform- und Innovationsprogramm vorgelegt. Demnächst folgt noch ein 100-Punkte-Programm der Staatsregierung zum Klimaschutz. Haben Sie noch im Blick, was schon erledigt ist und was noch aussteht?
Ja. Wir arbeiten daran, dass wir das, was wir versprechen, auch halten. Nehmen Sie als Beispiel das Familien- und das Pflegegeld. Das waren die großen Ankündigungen des vergangenen Jahres. Beide erfahren eine hohe Akzeptanz. Mehr als 300.000 Menschen profitieren vom Pflegegeld. Für jemanden, der eine Durchschnittsrente hat, entspricht das einer Rentenerhöhung um acht Prozent. Wer in Bayern Landespflegegeld bezieht, dem geht es echt besser. Beim Familiengeld, ergänzt um Kindergarten- und Krippengeldzuschuss, leisten wir einen Beitrag, von dem 350.000 Kinder profitieren. Im Bereich Innere Sicherheit haben wir das Landesamt für Asyl und die Grenzpolizei umgesetzt. In der Regierungserklärung geht es mir aber auch darum, Versprochenes durchzufinanzieren. Auf Dauer geht es nicht, dass wir Sanierungsstau haben oder Dinge ankündigen, die wir nicht umsetzen können. Wir machen uns da ehrlich und legen seriöse Finanzierungen vor.
Bayern hat nur drei Eliteuniversitäten
Auch die neuen Reformen bezüglich Hochtechnologie kosten viel Geld. In einem ersten Schritt wollen sie über ein paar Jahre eine Milliarde Euro investieren. Doch einige Kosten bleiben, etwa für die zusätzlichen 1.000 Professoren und 10.000 Studenten, die dauerhaft mit Gehältern, Gebäuden, Laboren in den Haushalt übergehen. Wer soll das alles bezahlen?
Es geht um eine Richtungsentscheidung. Vor fünf Jahren hatte die Schuldentilgung Priorität, um uns die Zinslast zu ersparen. Jetzt hat sich das Ganze umgekehrt – es gibt sogar Negativzinsen und alle Experten mahnen, lieber zu investieren. Wir werden keine neuen Schulden machen und auch nach wie vor Schulden tilgen, aber nicht schon bis zum Jahr 2030 alle Schulden abbauen. Stattdessen investieren wir in Forschung und Mittelstand.
Reicht ein Zurückfahren der Schuldentilgung – oder wird man nicht auch die eine oder andere Wohltat wieder einkassieren müssen?
Aus heutiger Sicht gibt es keinen Anlass dazu. Wir setzen ja durch hohe Investitionen ein klares wirtschaftspolitisches Signal. Andere auf der Welt geben viel mehr für Forschung aus als Deutschland. Forschungsinvestitionen lohnen sich zwar nicht sofort, aber sie zahlen sich langfristig extrem aus.
In ihrem Reformprogramm haben Sie auch die Hochschulen in den Blick genommen und wollen – ausdrücklich in Franken und Ostbayern – eine weitere Eliteuniversität. Was bedeutet das konkret?
Die Bilanz ist eindeutig. Wir hatten zum Start des Programms zwei von drei Eliteuniversitäten in Deutschland und haben heute, wo es elf gibt, immer noch erst zwei. Die beiden Münchner Universitäten sind international Spitze. Aber die anderen sind nicht dabei. Baden-Württemberg hat dagegen vier Eliteuniversitäten. Wir können jetzt nicht einfach unsere anderen Universitäten auf einen Schlag in die Elitegruppe katapultieren. Aber wenn selbst Berlin eine Eliteuni hat, weil dort mehrere zusammenarbeiten, müssen wir es ähnlich machen und besser kooperieren. Es geht dabei nicht um Fusion, sondern um Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen. Da bieten sich Erlangen und Würzburg ebenso an wie Regensburg und Passau. Das ist aktivierende Wissenschaftspolitik. Und wir müssen die Strukturen insgesamt modernisieren und die Hochschulen von bürokratischen Zwängen befreien. Bayern braucht einen Modernisierungsschub, vielleicht sogar einen Modernisierungsschubser, denn andere haben aufgeholt.
An diesem Samstag findet in München die letzte Regionalkonferenz statt, auf der sich die Bewerber um den SPD-Vorsitz präsentieren. Haben Sie ein Favoriten-Duo?
Ich haben keinen Überblick, wer alles kandidiert. Wir warten ab, wer am Ende als Sieger steht und das ist dann unser Ansprechpartner. Entscheiden muss die SPD. Aber eines ist klar: Wenn die SPD Partei- und Regierungsämter trennt, wird vernünftiges Regieren schwieriger.
"Mein Großvater hat mir echte Lebenstipps gegeben"
Einen Tag später wird zum ersten Mal der von Ihnen ins Leben gerufene Bayerische Großelterntag gefeiert. Wie werden Sie ihn verbringen?
Zum einen gehe ich in der Früh auf den Friedhof, um an meine Großeltern und Eltern zu denken. Dann wird es ein Mittagessen mit der Schwiegermutter geben, die für unsere Kinder eine großartige Oma ist. Ich schätze Großeltern und dieser Tag soll die Wertschätzung vieler Enkel für Opa und Oma zum Ausdruck bringen. Ich finde, Großeltern sind immer etwas ganz Besonderes.
Was hat Ihre Großeltern so besonders gemacht?
Mein Großvater hat mir echte Lebenstipps gegeben. Von ihm habe ich viel Haltung gelernt. Die Oma war mehr die Gemütliche. An Weihnachten haben wir immer ihre Plätzchen gegessen. An sie habe ich die klassischen Oma-Erinnerungen.

Ihre Labradorhündin Fanny ist Anfang September gestorben. Sind Sie mittlerweile bereit für einen neuen Hund?
Noch nicht. Wir werden sicher irgendwann einen neuen haben. Meine Frau hatte immer Hunde. Aber Fanny war sozusagen mein erster Hund, den ich dann als Welpe mit aufgezogen habe. So ein Verlust schmerzt dann sehr.
Und wie geht es Zwergpinscher Bella heute?
Sie war anfangs unsicher, weil ihr Fanny sehr fehlte. Aber das gleicht die Familie dann schon aus.
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