„Man darf nicht alle in eine Ecke stellen“

Fan-Forscher Gunter A. Pilz kann sich vorstellen, dass „nicht jeder Nürnberger Ultra glücklich ist, was da in Bochum abgegangen ist“. Spaltung der selbsternannten Hardcore-Fans hat begonnen
von  Abendzeitung
„Geharnischte Strafe“ für den Club: Gunter A. Pilz.
„Geharnischte Strafe“ für den Club: Gunter A. Pilz. © dpa

Fan-Forscher Gunter A. Pilz kann sich vorstellen, dass „nicht jeder Nürnberger Ultra glücklich ist, was da in Bochum abgegangen ist“. Spaltung der selbsternannten Hardcore-Fans hat begonnen

AZ: Welche Rolle spielt das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände bei den Ultras?

GUNTER A. PILZ: Ein Großteil der Ultras sieht darin ein Stilmittel für Stimmung, will eine ganz besondere Atmosphäre schaffen. Das strikte Verbot dieses Stilmittels birgt zudem den Reiz, die Sicherheitskräfte überlistet und dieses gefährliche Zeug trotz intensiver Kontrollen dennoch ins Stadion geschmuggelt zu haben.

Nahezu ausschließlich wird in fremden Stadien gezündelt.

Das ist sogar typisch. Es stellt die Provokation der gegnerischen Kurve dar. Es ist ein symbolischer Akt, ja ein symbolischer Kampf, der die territoriale Eroberung des Stadions darstellen soll. So wird gezeigt: WIR haben die Macht!

Wobei ich unterstelle: Ultra ist nicht gleich Ultra.

Ich kann mir vorstellen, dass sicherlich nicht alle Nürnberger Ultras glücklich darüber sind, was da in Bochum abgegangen ist. Man darf nicht alle Ultras in eine Ecke stellen. Natürlich gibt es Bemühungen, zuletzt auf einem Ultras-Kongress, an dem auch Fifa- und Uefa-Vertreter teilnahmen, Pyro-Aktionen zu entkriminalisieren. Die Forderung, die verstärkt aus Österreich kommt, bezieht sich auf ein kontrolliertes Abbrennen in einem abgesperrten Korridor eines Blockes. Es gibt schließlich auch Bengalfackeln, die nicht gesundheitsgefährdend sind. Andere Teile der Ultras finden das nicht so cool, weil dadurch der Reiz des Verbotenen, des spontanen Handelns verloren geht.

Dann waren die Nürnberger in Bochum also kontraproduktiv?

Der gesamten Szene wurde ein Bärendienst erwiesen. So wird riskiert, dass die Gesprächsbereitschaft von Verbänden und Vereinen wieder gen Null gehen wird. Wenn man weiß, wie gefährlich diese Sachen sind, dann war das in höchstem Maß verantwortungslos – und ein großer Schuss Gewalt dabei. Den 1.FC Nürnberg erwartet mit Sicherheit eine empfindliche Strafe durch DFB und DFL. Die Nürnberger Ultras sind ja schon häufiger provokant aufgefallen.

Bei der Saisoneröffnung 2009/10 mit dem Spiel Wolfsburg gegen Stuttgart, oder letzten Sonntag beim 110. Geburtstag der Bayern, wurde von den Veranstaltern eine Bengal-Show vom Feinsten abgezogen. Wirkt das angesichts von Stadionverboten für Fans nicht schizophren?

Nun ja. Die DFL nimmt sich dieses Recht eben heraus, andererseits werden Fans mit Stadionverboten belangt. Das ist sicher eine zweifelhafte, doppelzüngige Vorgehensweise. Wobei: Rauchbomben haben generell nichts mit Stimmung zu tun. Die sind eher destruktiv.

Gibt es einen Lösungsansatz?

Die Ultras müssen klar machen, was sie wollen, um was es ihnen wirklich geht. Eine große Einheit sind sie schon lange nicht mehr. Wenn sich vormals die Polizei in Zwischenfälle eingeschaltet hat, solidarisierte sich der gesamte Block. Diese Welle ist größtenteils Vergangenheit.

In Portugal gibt es Ultras-Gruppierungen, die sich als Anti-Ultras bezeichnen. Was steckt dahinter?

Gerade was die Thematik Gewaltbereitschaft angeht, distanzieren sich dort – wie teilweise auch in Deutschland – Ultras von Ultras. Sie arbeiten, was vormals undenkbar war, mit der Polizei zusammen, um deeskalieren Maßnahmen schon im Vorfeld zu besprechen.

Droht also die Spaltung der Ultras in Stimmungsmacher und Chaoten?

Die Spaltung gibt es schon. Und sie wird, perspektivisch betrachtet, noch größer werden. Interview: Markus Löser

Mehr über den Club und was Trainer Dieter Hecking zur Torflaute seiner Schützlinge sagt, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer Abendzeitung am Mittwoch, 3. März.

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