Mailaufen in Antdorf: „Keiner will übrig bleiben“
ANTDORF - In Antdorf legen die Madl einen Sprint hin, um sich einen Mann zu krallen. Doch drei Burschen sind nach dem Lauf immer noch solo - ein Report über den Mailauf.
Schon seit ihrer Kindheit hat sie auf diesen Tag hingefiebert. Jetzt, mit 19 Jahren, ist es so weit. Veronika Sappl hat sich extra ein neues Dirndl für den großen Tag schneidern lassen – lila-weiß mit einer grünen Schürze. Das wird sie einweihen, wenn sie am 3. Mai zum ersten Mal in ihrem Leben beim Antdorfer Mailaufen startet. „Es war immer mein Ziel, dass ich da mal mitmache. Das ist eine Ehre.“
Das Mailaufen in dem kleinen Ort im Landkreis Weilheim-Schongau ist ein einzigartiger Brauch. Alle drei Jahre findet das Spektakel statt, bei dem sich die Madl aus dem Ort einen Burschen „erlaufen“. Keiner weiß genau, seit wann es dieses Ritual gibt. In Antdorf geht man aber davon aus, dass die Tradition bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Damit sollte früher das „Anbandeln“ gefördert werden, heißt es.
„Ich hoffe, dass ich nicht die Letzte bin!“
Noch ist die große Wiese im Ort nicht gemäht. Ein gelbes Löwenzahn-Meer erstreckt sich dort, wo die jungen Frauen am Sonntag einen Sprint hinlegen werden – um sich als erste einen Mann zu krallen. Ein Trompeten-Signal. Und los geht’s. „Manche haben extra geübt“, erzählt die Sappl Veronika. Sie nicht. Wer im Vorfeld Spenden gesammelt hat, bekommt einen bescheidenen Vorsprung. Sie nicht. „Ich hoffe, dass ich nicht die Letzte bin!“
Doch selbst wenn, wird sie nicht leer ausgehen. Denn Teil des Brauchs ist, dass die Männer immer in der Überzahl sind – mindestens drei mehr müssen es sein. Wer übrig bleibt, hat kein leichtes Los. Während die anderen Burschen beim anschließenden Tanz vor dem Gasthaus Petermichl ein hübsches Madl im Arm halten, müssen die Übriggebliebenen einen Walzer mit Reisigbesen hinlegen. Einer von ihnen bekommt stattdessen eine Stalllaterne, die er nach drei Jahren unversehrt wieder abgeben muss. „Direkt schön ist es ned, wenn man übrig bleibt. Dann werst natürlich derbleckt“, sagt Christian Wagner (26), zweiter Maibaumchef. Ihn hat dieses Schicksal bislang nicht ereilt. Doch am Sonntag wird es wieder drei Burschen treffen – 35 Madl sind diesmal dabei und 38 junge Männer. Alle ledig und kinderlos. Alle aus Antdorf, denn der Hauptwohnsitz ist Pflicht.
Wer seiner Holden hinterrücks ein Zeichen gibt, muss ein Tragerl Bier zahlen.
„Man ist schon gespannt, wen man sich daläuft“, sagt die Vroni. Freilich hat die ein oder andere vorher einen Favoriten. „Aber es gehört zur Gaudi, dass vielleicht nicht das eintrifft, was man sich erhofft hat.“ Das Problem: Die Männer sitzen aufgereiht auf einer Bank mit dem Rücken zu den Läuferinnen. Alle bekleidet mit weißem Hemd, Lederhosen, bestickten Hosenträgern und Trachtenhut. Da fällt die Unterscheidung schwer. Vor allem, weil die jungen Frauen in etwa 70 Meter Entfernung starten. Wer dabei erwischt wird, dass er seiner Holden hinterrücks ein Zeichen gibt, muss ein Tragerl Bier zahlen.
So war das wohl schon immer. Auch 1949, als die Hedi Pfluger zum ersten Mal mitlief – im Alter von 19 Jahren. „Wir haben damals schon ein halbes Jahr früher über nichts anderes als über das Mailaufen geredet.“ Insgesamt vier Mal ging die heute 77-Jährige an den Start. „Es war immer schee.“ Und einmal ganz besonders? „Einmal war’s interessant, aber des sag’ ich jetzt ned“, erzählt die alte Dame und lacht. Ihren Ehemann hat sie schließlich woanders erobert – nicht beim Laufen.
„Das ganze Jahr scheißen sich die Buam nix um die Madl“, erklärt sie auf gut Bairisch. „Aber beim Mailaufen will keiner übrig bleiben.“ Dabei sei das auch schon „den Besten“ im Dorf passiert. Der Trost für die Rest-Männer: Sie sind den Nachmittag und Abend von der kompletten Feier-Gesellschaft eingeladen – für sie geht extra ein Hut rum. Die Mai-Madl müssen ihren „Fang“ bis zum Abend zechfrei halten – dann ist es umgekehrt. Es wird getanzt, getrunken und Brotzeit gemacht.
Die Paare, die sich beim Mailaufen finden, bleiben den restlichen Tag beisammen
Besonders trinkfest müssen die sieben „Zammtreiber“ sein. Sie haben die Aufgabe, die Teilnehmerinnen vor dem Mailaufen daheim abzuholen. Ausgerüstet mit Goaßln (Peitschen), Brezn und Bier ziehen sie von Haus zu Haus – und bekommen dort zur Belohnung eine kleine Stärkung und natürlich ein Schnapserl. 17 bis 19 Häuser müssen sie abklappern, bevor sie sich dann selbst auf die Bretterbank setzen – bis eine Dame im Dirndl auf sie zustürmt. Harte Arbeit. „Da darfst halt bei ein paar Häusern keinen Schnaps trinken, dann geht’s schon“, rät der Antdorfer Bürgermeister Paul Frech (51). Er muss es wissen: Zwei Mal war er selbst Zammtreiber.
Die Paare, die sich beim Mailaufen finden, bleiben den restlichen Tag beisammen – zumindest die meiste Zeit. Am Nachmittag ist Damenwahl. „Freilich nimmt man da auch mal einen anderen – sonst wird’s ja langweilig“, sagt Hedi Pfluger. Erfüllt das Mailaufen noch seinen ursprünglichen Zweck und hilft beim Anbandeln? Wirklich viele Paare finden sich dabei nicht, sagt Bürgermeister Paul Frech. Denn die jungen Leute aus dem Dorf kannten sich ja auch schon vor dem Spektakel.
Beispiel Christian Wagner: Zwei Mal „erliefen“ ihn zwei Madl aus dem Dorf. Eine der beiden hat am vergangenen Samstag geheiratet – aber nicht ihn. „Da ist wohl irgendetwas schiefgelaufen“, scherzt der 26-Jährige. Er selbst hat eine Freundin aus dem nahen Penzberg und lässt sich am 3.Mai trotzdem beim Mailaufen erobern. Wird seine Liebste da nicht eifersüchtig? „Sie weiß, auf was sie sich einlässt, wenn sie einen Antdorfer nimmt“, meint Christian Wagner. Und bekommt Schützenhilfe von der Hedi: „Sie soll dahoam bleiben. Dann sieht sie nichts. Und dann gibt’s auch keine Eifersucht.“ Sehr pragmatisch.
Warum ist das Mailaufen nicht am Maifeiertag selbst?
Auch wenn das Mailaufen nicht die ideale Partnerbörse ist – Ausnahmen bestätigen die Regel. Ausgerechnet beim Bruder des Bürgermeisters hat es gefunkt. Als Rupert Frech, heute 46 Jahre alt und Landwirt, im Jahr 1985 auf der Bank saß, erstürmte ihn ein Madl namens Heidi. Drei Jahre später eroberte sie ihn nochmal, aber diesmal ganz gezielt: Sie wusste, dass er als Maibaumchef traditionell eher am Rand sitzen würde. Heute sind die beiden verheiratet und haben drei Kinder. Die Zeit vergeht: Ihre älteste Tochter ist 18 und läuft heuer zum ersten Mal mit.
Warum ist das Mailaufen nicht am Maifeiertag selbst? Am Tag der Arbeit wird in Antdorf geschuftet – denn auch für das Maibaum-Aufstellen hat das Dorf einen besonderen Brauch. Der Baum wird nicht wie in anderen Orten tagelang bemalt und bewacht, sondern erst in der Freinacht geschnitten. Per Hand, versteht sich. Bis zum Gebetsläuten um fünf Uhr morgens muss er liegen. Dann wird er geschmückt und aufgestellt. Praktischer Nebeneffekt dieser Variante: Mit Maibaum-Dieben hat man in Antdorf kein Problem. Der zweite Akt im Mai-Ritual – das Laufen – ist erst am Sonntag darauf.
3. Mai, gegen 14.30 Uhr: Der Moment, auf den Veronika Sappl sich seit ihrer Kindheit freut. Sie steht in der Reihe der Läuferinnen. In ihrem neuen lila-weißen Dirndl mit der grünen Schürze. Barfuß. Die Wiese ist frisch gemäht. Schade um den Löwenzahn. 1000 Zuschauer warten gespannt. Dann ertönt das Trompeten-Signal. Lauf!
Julia Lenders
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