Macht im rollenden Einsatz
NÜRNBERG - Klassik in der Kongresshalle: Stefan Otteni inszeniert Schillers „Maria Stuart“ als nachgeschliffenen Nervenkitzel.
Am Ende, wenn das ewig schwebende Verfahren einer Königin über die andere doch noch in messerscharfer Logik am Schafott geklärt und die Konkurrentin aus Schottland der britischen Queen aus dem Weg geräumt wird, platzen die Illusionen wie Luftballons. Im spannenden Spiel um äußere Macht und innere Freiheit, um Intrige, Fanatismus und Affären, wie es Regisseur Stefan Otteni in seiner Nürnberger Neuinszenierung von Schillers „Maria Stuart“ entwickelt, hört es gar nicht mehr auf mit dem Scheitern. Politik in Auflösung, Liebhaber auf der Flucht, Ruf ruiniert. Da kann nicht mal das Erbe der Schuhkartons aus dem Nachlass der Nebenbuhlerin trösten. Die siegreiche Herrscherin bricht in Gelächter aus – und das ist kein Zeichen für Stimmungsaufschwung bei Hofe.
Schillers Gefechtsstand für zwei starke Frauen bleibt einer der strapazierfähigsten Klassiker überhaupt, kann in 70 Minuten Trash oder in vier Stunden Hystory überzeugen. Und, wie es jetzt eher zufällig geglückt ist, als Ergänzung einer erinnerungswürdigen Interpretation. Hatte vor 13 Jahren Holger Berg am Schauspielhaus das Drama modern konventionell ausgereizt und die Stuart himmelwärts durchmarschieren lassen, umstellt Stefan Otteni die Konkurrenz der Fundi-Frömmigkeit mit Fragezeichen. Ob Diesseits oder Jenseits – jeder Triumph bricht in sich zusammen.
Das schadet der Aufführung nicht, denn sie findet ihren Weg über ein Kammerspiel stets lebensgefährlich scharf nachgeschliffener Dialoge, die keinerlei Zwischenräume für heiße Pathos-Luft lassen. Man spricht Kunst, aber Klartext.
Kraftvolle Bilder für den frischen Blick auf ein starkes Stück
Die Bühne von Peter Scior mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, passt jedoch wie die Faust aufs Auge. Eine Plattform weißer Tische schafft zwei Etagen. Während oben auf rollenden Bürostühlen das mobile Küchenkabinett der Elisabeth tagt (ja, Majestät trägt Hosenanzug), lagert drunter hinter Glas die gefangene Maria Stuart. Für die Szene im Park werden gartenmarktfrische Rasenstücke ausgerollt, aber ehe sich die verfeindeten Frauen begegnen können, müssen Untertanen mit dem Vorschlaghammer die Trennwand zertrümmern. Kraftvolle Bilder für den frischen Blick auf ein in jeder Hinsicht starkes Stück.
Otteni begibt sich vorsichtig in die Extreme der Gefühlswelten, federt ihre theatralischen Zuspitzungen mit Zweifler-Spott ab (wenn Mortimer den Selbstmord mit „Aua!“ einleitet oder Maria scheinheilig generös ihren Schmuck pfundweise unter die Statisterie verteilt) und schafft so eine ständig hinterfragungswürdige Nervenkitzel-Atmosphäre.
Zwei konkurrierende Ausnahme-Frauen und ein Männerwelt-Mosaik aus sieben Charakterköpfen repräsentieren die Welt des Scheiterns auf höchstem Niveau. Denn tatsächlich gelingt es Julia Bartolome (Maria) und Elke Wollmann (Elisabeth), die Königinnen aus dem Schema von Gut und Böse zu schälen. Wollmann ist personifizierte Energie mit beschränkter Haftung, die sich an private Sehnsüchte kuschelt und halt übrig bleibt. Bartolome setzt gekonnt inbrünstige Naivität dagegen und rüstet zum Konfessions-Martyrium ikonographisch auf wie Marianne Rosenberg auf der Suche nach dem Namen an der Tür. Feinfühlig abtastende Studien, denen die Herren mehr (Thomas Nunner, Jochen Kuhl, Stefan Lorch) oder weniger (Felix Axel Preißler, Frank Damerius, Jan Ole Sroka) individuell als Gruppenbild gegenübertreten.
Wenn Elisabeths „Furie meines Lebens“ geköpft ist, bleibt nicht viel zu sagen. Erst da schwächelt die sehenswerte Aufführung, weil sie unnötig weitererzählt.
Dieter Stoll
Nächste Vorstellungen: 21., 22., 24, 29., 30.4. und 7., 9., 10., 12., 13.5., Karten Tel. 0180-5-231600.
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- Marianne Rosenberg