Luise Kinseher über CSU: Irrsinnig zu glauben, dass es so weiter geht

Luise Kinseher spricht im AZ-Interview über die bayerische Landtagswahl, über die CSU sowie ihr neues Programm "Mamma Mia Bavaria!", das im Lustspielhaus Premiere hat.
von  Michael Stadler
Die Kabarettistin Luise Kinseher als Mama Bavaria auf dem Nockherberg.
Die Kabarettistin Luise Kinseher als Mama Bavaria auf dem Nockherberg. © dpa

Luise Kinseher über die bayerische Landtagswahl, über die CSU und bunt gemischte Stammtische sowie ihr neues Programm "Mamma Mia Bavaria!", das im Lustspielhaus Premiere hat

München - Luise Kinseher hat derzeit viel zu tun. Nicht nur, weil sie die Premiere ihres neuen Bühnenprogramms "Mamma mia Bavaria" vorbereitet, sondern weil sie, gerade überregional, häufig angefragt wird, sich über die bayerische Landtagswahl zu äußern. Spätestens seit ihren Auftritten am Nockherberg als Mama Bavaria gilt sie als bissige Kommentatorin der bayerischen Politik – natürlich mit mütterlicher Wärme. Die hat sie sich sicherlich erhalten für ihr neues Programm, in dem aber auch andere Figuren auftauchen werden: Mary from Bavary zum Beispiel, die trotz oder wegen ständiger Trunkenheit recht weise ist. "Sie hat halt eine Synapse mehr", meint Luise Kinseher. Und war zuletzt eher abstinent.
Die Schauspielerin trat 1998 erstmals solo als Kabarettistin auf. Von 2011 bis 2018 derbleckte sie am Nockherberg als Mama Bavaria die Politiker

AZ: Frau Kinseher, das Oktoberfest ist gerade vorbei. Sie waren unter anderem beim Schichtl zum Anstich. Wie lässt sich diese Zeit mit dem Verfassen eines Kabarettprogramms vereinbaren?
LUISE KINSEHER: Naja, zu dieser Zeit war das Programm praktisch schon fertig. Also, ganz fertig noch nicht, aber da liefen schon die ersten Vorpremieren. Insofern konnte ich mich schon ein bisschen entspannen. Groß getrunken habe ich natürlich nicht, weil ich fit sein musste.

Wie ist es mit der Entspannung hinsichtlich der Wahl in Bayern?
Die Premiere haben Sie drei Tage danach im Lustspielhaus, das Ergebnis der Wahl können Sie kaum unbeachtet lassen. Also, wenn die CSU abgewählt würde, dann müsste ich tatsächlich ein paar Sachen umschreiben. Aber mit solchen Veränderungen rechne ich natürlich, das kriege ich schon hin. Ich glaube ehrlich gesagt, dass sich, wie immer die Wahl ausgeht, nicht unfassbar viel in Bayern verändern wird. Einige Machtzirkel und Seilschaften der CSU werden nicht mehr so funktionieren wie vorher, aber an unserem Alltag wird sich nichts ändern. Ich interessiere mich auch mehr für diesen Alltag. Es gibt zwar einen aktuellen politischen Teil, aber in dem Programm geht es vor allem allgemein um Heimat.

Neues Programm - neue Figuren

Geht man vom Titel aus, beschäftigt dieses Thema vor allem die Mama Bavaria.
Ja. Auf dem Nockherberg war die Aufgabenstellung klar: Dort sollte die Mama derblecken, für anderes war einfach keine Zeit. Für das Programm konnte ich diese Figur weiterentwickeln, ihre Empfindungen und Eitelkeiten entdecken, ihre manchmal etwas durchgeknallten Sichtweisen.

Die Mahnungen der Mama Bavaria auf dem Nockherberg haben ja nicht gerade gefruchtet.
Nein, sie sagt auch: Ich habe jetzt acht Jahre Reden gehalten und die Politiker derbleckt, aber genutzt hat’s nix, sondern es ist nur noch schlimmer geworden. Drum habe ich aufgehört und wende mich jetzt meinen Kindern zu, dem Publikum, und erkläre ihnen die Heimat auf meine Art und Weise.

"Heimat ist immer eine Erinnerung"

Was für einen Heimatbegriff hat denn die Mama?
Für die Mama bedeutet Heimat, lustvoll sich selbst zu feiern, mit all den Traditionen, welche die Heimat mit sich bringt. Auch die Sprache zu pflegen, wobei sie nicht zu den Heimatmenschen gehört, die ständig jammern, dass der Dialekt gar nicht mehr gesprochen wird und dass die Dirndl ja heute so gräuslich sind, und das Bier schmeckt ja a nimmer. Stattdessen ist sie offen, nimmt genauso lustvoll Neues an, will weitergehen, nicht stehenbleiben. Sie hat da einen sehr freudvollen Heimatbegriff. Ihr Wahlspruch ist dabei immer gewesen: "Bloß net untereinander, weil des gibt depperte Kinder!"

Heimat ist auch stark mit Nostalgie behaftet, man denkt an die guten alten Zeiten…
Klar, Heimat ist immer Erinnerung. In München ist es vor allem die Erinnerung an eine bezahlbare Dreizimmer-Wohnung.

Und an ein Bayern voller "echter" Bayern. Edmund Stoiber meinte jüngst, dass es an den ganzen Zuzügen aus anderen Bundesländern liege, dass die CSU in den Umfragen abgestürzt sei.
Das ist so typisch für die CSU, dass sie jetzt nach irgendwelchen Schuldigen suchen. Wenn man sich überlegt, was es in Bayern schon von jeher an Zuzügen gab. Aber klar, früher war das in den Dörfern anders. Ich komme aus Geiselhöring aus Niederbayern, da ist man damals in den Sechzigern, Siebzigern noch in die CSU hineingeboren worden. Ich erzähle immer die Geschichte, wie mein Vater Mitglied werden wollte und die meinten: "Sepp, es tut uns leid, die CSU ist voll." In diesen Orten gab es nichts anderes, vielleicht noch ein paar verstreute SPDler. Aber natürlich hat sich das verändert.

"Lufthoheit der CSU an den Stammtischen ist längst passé"

Und die CSU hat diese Veränderungen verschlafen?
Es ist doch irrsinnig von einer Partei zu glauben, dass das ewig so weitergeht, dass die Menschen praktisch mit dem Taufschein gleich das Parteibuch mitbekommen. Das war vielleicht mal normal, aber jetzt ist es halt nimmer normal. Heute leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft. Auch die Stammtische sind nicht mehr so wie früher. Wenn es überhaupt noch welche gibt, dann sitzen da Frauen, Zugereiste, Türken, Italiener. Die Stammtische bestehen doch schon lange nicht mehr aus lauter Bierdimpfln mit dicken Bäuchen. Die Lufthoheit, die die CSU an den Stammtischen hatte, ist schon längst passé. Da sitzen bunt gemischt Menschen, und die wählen halt nicht unbedingt CSU.

Der CSU wurde unterstellt, mit dem rechten Rand der alten Stammtische zu kokettieren.
Zu Recht. Damals, als die Republikaner aufkamen, hat Franz Josef Strauß die rechten Kräfte mit seinen Sprüchen einkassieren können. Aber es liegen leider Gottes dreißig, vierzig Jahre dazwischen, und in der Zwischenzeit ist viel passiert: die Digitalisierung, die Finanzkrise, der Euro und vieles mehr. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie sich in der CSU jene Lager durchsetzen konnten, die vehement gesagt haben, wir machen das jetzt so wie der Strauß damals. Es gibt aber schon auch vernünftige Leute wie Manfred Weber oder Ilse Aigner, die nicht rumschwatzen, sondern ihre Arbeit machen.

Mama Bavaria leidet unter dem Familienzwist

Schuld an den schlechten Umfragewerten sind dann Söder und Seehofer?
Es gibt diesen schönen Spruch: "Der Vater erstellt’s. Der Sohn erhält‘s. Und dem Enkel zerfällt‘s." Wenn man diese Linie von Strauß über Stoiber zu Söder verfolgt, mit Seehofer als nettem Onkel, dann passt das schon gut. Es ist ähnlich wie bei Firmen, die letztlich gar nicht mal wegen Erfolglosigkeit zu Grunde gehen, sondern wegen persönlichen Verletzungen, innerer Zerstrittenheit.

Ich merke schon, der Mama tut dieser Zwist als Familienmensch schon a bissel weh.
Natürlich tun bestimmte Sachen ihr weh, weil das Bayern, wie sie es kennt und sieht, eigentlich anders funktioniert als so manche CSU-Politiker das vorgeben. Im Programm ist Bayern auch eine Art Metapher für Heimat an sich. Bayern ist weltweit bekannt als ein Land, wo die Menschen eine starke Identifikation mit ihrer Heimat haben. Umso mehr wird nun auf die Wahl geschaut, weil alle merken, dass da was nicht passt, dass es knarzt. Es gibt’s ja auch nirgendwo, dass es eine Partei geschafft hat, mit einem Land identifiziert zu werden. Wenn so eine Volkspartei zerfällt, heißt das schon was.

Luise Kinsehers Prognose zu Wahl am Sonntag

Wäre die Mama nicht die perfekte Ministerpräsidentin?
Sie ist im Grunde ihres Herzens eher Wirtin. Aber Wirtin eines sehr großen Wirtshauses. Das bayerische Wirtshaus ist im Programm Idealbild einer freudvollen, offenen, gemischten Gesellschaft.

Und Ihre Prognose: Wie geht die Wahl, und alles wird sehr weiblich… Die Frauen müssen ja immer den Karren aus dem Dreck ziehen.

Premiere am Mittwoch im Lustspielhaus ist ausverkauft, Karten gibt‘s noch für den 23.10., 24.10. und 25.10., jeweils 20 Uhr. Telefon: 089 344974

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