Lieder-Verbot für die Sprachreimer

Hü und hott: Beim Konzert von Fettes Brot sah die Stadt Erlangen den „ernsten Charakter des Stillen Tages“ gefährdet – und ließ die Hip-Popper spielen.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Schwer dechiffrierbare Wortgefechte im Getöse: Die Sprechsänger Schiffmeister, Doc Renz und König Boris (v.l.) von Fettes Brot.
dpa Schwer dechiffrierbare Wortgefechte im Getöse: Die Sprechsänger Schiffmeister, Doc Renz und König Boris (v.l.) von Fettes Brot.

ERLANGEN - Hü und hott: Beim Konzert von Fettes Brot sah die Stadt Erlangen den „ernsten Charakter des Stillen Tages“ gefährdet – und ließ die Hip-Popper spielen.

Das deutsche Ordnungsamt ist das wahrhaft revolutionäre Potenzial der Popmusik und sichert auch dem Volkstrauertag mittelschwere Lachbeschädigung. Naja nicht ganz und überall, denn während in Nürnberg die Blue Man Group trommelte und der Ice-Holiday tanzte, sah man in Erlangen den „ernsten Charakter des Stillen Tages“ gefährdet (schließlich hatte man dort schon Ärger am Hals wegen eines nur teilweise befolgten Tanz-Verbots an Allerheiligen) und untersagte den Hamburger Spottkameraden von Fettes Brot, auf der Ehrenrunden-Tournee in der Stadthalle vier Titel mit „insbesondere vulgärer Ausdrucksweise“ und „sexuellem Inhalt“ zu spielen. Das Partysanen-Publikum, das keinen Unterschied zwischen Feier-Tag und Feiertag mehr macht, nahm die Haltung ihrer Idole vorweg: „Das ist mir doch wurscht.“

Höhnisch hatten die Hinterbliebenen des Hanseaten-HipHop, die sich immer Humor und Haltung erlaubten unter all den Maulhelden ihres Gewerbes, den auf Postergröße aufgeblasenen Erlanger Unterlassungs-Bescheid im Foyer aufgehängt. Der „Ein-Euro-Blues“ (triebgesteuerte Rache an den Gewinnmaximierern), „Schwule Mädchen“ (der schwirrende Emanzipations-Bumerang), „Erdbeben“ (es handelt sich um den Aufruf zum Hinternschwingen) und „Bettina“, die doch bitte aus Rücksicht auf die Umwelt ihren Vorbau eingepackt lassen soll, landen erst auf dem Index und später dann (großteils) im bejubelten Zugabenteil. Provokation zur Lage der Nation? „Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Jein!“ strichen die „Brote“ ihre Antwort fett auf.

Das erlaubte Repertoire, das mit Neudeutschungen von Steve Millers „The Joker“ und „Hamburg Calling“ nach „The Clash“ den Karrieresprung ins Geschmackszentrum verlängert, erfüllte kurioserweise den „Charakter des Stillen Tages“. Die ganze Halle steht unter „Strom und Drang“, dem bewegungsfreudigen aktuellen Album, das im Zentrum steht. Das Weißlicht zuckt der nach „Amsterdam“ Entwischten hinterher, es trommelt das Fell, hüpft die Menge, pumpt der Monsterbass. „Aufgewacht, hier kommt Lauterbach!“ Klarer Fall: „Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich ich.“

Viel zu verstehen war allerdings nicht von „Schiffmeister“ Björn Warns, Martin „Doc Renz“ Vandreier und „König“ Boris Lauterbach. Vom Credo „Lieber verbrennen als erfrieren“ und von „Emanuela“, von der man die Finger lassen soll, auch nicht. Die wirbelnden Wortgefechte befinden sich im Zangengriff der musikalischen Übermacht einer Elf-Mann-Band, wo Feinheiten im Getöse versinken. Ein Friedhof der Nuscheltiere. Vielleicht wollte Fettes Brot mit dem unförmigen Klang-Kanten auch nur seine Texte vor der Erlanger Zensur akustisch verschlüsseln. Klappte prima.

Leise und still sind die Spaßgesellschafter zumindest abgerückt. Der „Lärm-Immissionswert von 45 db(A)“ beim Abtransport durfte nicht überschritten werden. Stand im Erlass. Andreas Radlmaier

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.