Lichterglanz bei Schickedanz
Umsatzzunahme von 900 Prozent! Die großen Jahre im Wirtschaftswunderland. Schon kurz nach dem Kriegsende bestellten eine Million Deutsche regelmäßig bei der Quelle.
NÜRNBERG/FÜRTH An Wunder muss man vor allem fest glauben. Kaum war das verheißungsvolle Wort „Wirtschaftswunder“ um 1950 erfunden, blieb es – bis zum heutigen Tag – fest im Glauben der Deutschen verwurzelt. Bis heute gilt Ludwig Erhard als der „Vater des Wirtschaftswunders“, gilt der zarte erste Aufschwung nach dem Krieg als unfassbares Mirakel.
Aber wohin anders hätte es gehen sollen als aufwärts: Die meisten Großstädte waren zerstört, der Schock über die Wunden als Folge des Nazi-Regimes saß tief, die Industrie, der Handel lagen brach. Da passieren leicht Wunder. Zumal die westlichen Besatzungsmächte, Amerikaner, Briten, Franzosen, an einer wirtschaftlichen Stärkung der drei westlichen Zonen des buchstäblich ausgebluteten Landes plötzlich stark interessiert waren.
Bei Gustav Schickedanz liest sich das Wunder besonders beeindruckend – es ging, zum dritten Mal in der Berg-und-Tal-Historie des Fürther Stehaufmannes, steil nach oben. Schwindelerregend. 1952 ermittelten die Quelle-Buchhalter einen Jahresumsatz von 103 Millionen D-Mark, im Vergleich zum Jahr 1949 eine Umsatzsteigerung von fast 900 Prozent.
Die kurz nach Kriegsende von Unbekannten verbrannte Kundenkartei war längst wieder auch Höchststand gebracht. Über eine Million Deutsche bestellten damals schon wieder regelmäßig bei der Quelle. Und Lust zum Dichten hatte der Chef auch schon wieder: Der schöne Weihnachtsreim als beleuchtetes Spruchband über dem 1949 eröffneten Quelle-Warenhaus an der Fürther Freiheit soll aus der Feder von Gustav Schickedanz geflossen sein – „Lichterglanz bei Schickedanz“.
Hans Dedi heiratet in die Familie Schickedanz ein
Die Idee zum ersten großen Warenhaus des Unternehmens stammte von Grete Schickedanz. 1955 erwies sich dann aber der Herr des Hauses als Visionär. In einer Zeit, als kaum jemand das Wort Computer schreiben konnte, schickte Schickedanz einen einstigen Karriere-Soldaten in die USA. Ex-General Georg Reinicke, ein begnadetes Organisationstalent, soll die Basis für eine computergesteuerte Versandorganisation ausspähen.
Viel neues konnten ihm die Amis offenbar nicht bieten, schließlich tüftelt der ehemalige Pioniersoldat mit einem Heer von Ingenieuren eine selbsterdachte Versandstraße aus. Das Computer-Monstrum mit seinen kilometerlangen Förderbändern, untergebracht in der neuen Mega-Halle in Nürnberg an der Fürther Straße, wird im Frühjahr 1956 eingeweiht. Eine Anlage solchen Ausmaßes gibt es zu diesem Zeitpunkt weltweit nur bei Schickedanz, das wie von Geisterhand gesteuerte Sortier- und Versandsystem kann täglich 100.000 Pakete bewältigen. Der Ehrengast bei der Einweihungsfeier, Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, ist tief beeindruckt.
Die Quelle passiert im Wettbewerb um die Vorherrschaft mühelos den zähesten Konkurrenten. 1958 kommandieren Grete und Gustav Schickedanz mit einem 400 Millionen-Umsatz und 3,5 Millionen Stammkunden Deutschlands größtes Versandhaus. Der aus Würzburg stammende Josef Neckermann und sein „. . .macht’s möglich“-Unternehmen rangiert nur noch an zweiter Stelle.
Bei aller Geschäftigkeit – ein Privatleben gibt es in der Aufsteigerfamilie auch noch, zumindest in der Nachfolger-Generation. Aber auch die beiden Töchter des Ehepaares Schickedanz – Louise aus erster und Madeleine aus der zweiten Ehe – binden sich einschlägig. In St. Paul in Fürth heiratet Louise Schickedanz, damals 30, am 6. September 1952 den in der Schweiz geborenen Textilfabrikanten-Sohn Hans Dedi (35). In derselben Kirche geben sich am 4. September 1965 die 22-jährige Madeleine Schickedanz und ihr Tanzstunden-Partner, der aus der Fürther Spielzeug-Dynastie Mangold stammende Hans Georg Mangold (23), das Ja-Wort. Beide Schwiegersöhne gehören bald zum Führungsstab des Unternehmens. Hans Dedi, ein Leben lang, Hans Georg Mangold nur für acht Jahre. Trotz ihrer beiden kleinen Kinder – Sohn Hans Peter ist damals sechs, Tochter Daniela erst drei – trennen sich die Eltern. Hans Georg Mangold, Mitglied der Geschäftsführung, scheidet im Frühjahr 1973 aus dem Unternehmen aus. Konzern-Chef Gustav Schickedanz ist damals 78. Vom Ruhestand will der Senior nichts wissen. Auch den Plan, aus dem Familienunternehmen eine Aktiengesellschaft zu machen, verwirft Schickedanz wieder.
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