Leid am Fließband: "Soko Tierschutz" deckt nächsten Skandal auf

Selm/München - Rinder, denen bei vollem Bewusstsein die Kehle durchtrennt wird und die qualvoll ausbluten: Die Bilder, welche Tierschützer mit einer versteckten Kamera auf einem Schlachthof im nordrhein-westfälischen Selm (Kreis Unna) einfangen konnten, sind schwer zu ertragen. Dort, so hat es die "Soko Tierschutz" aufgedeckt, sind Kälber, Schafe und andere Tiere illegal geschächtet worden.
In den Augen der Rinder steht "die pure Verzweiflung"
"Ich war selten so wütend wie zu dem Zeitpunkt, als ich dieses Material gesehen habe", sagt Friedrich Mülln von der Augsburger Organisation. "Man sieht in den Augen der Rinder die pure Verzweiflung."

Schächten - also das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung - ist in Deutschland verboten, weil es einen extrem qualvollen Tod bedeutet. Zwar gibt es Ausnahmegenehmigungen, doch kaum ein Betrieb habe diese, erklärt Mülln – und in Nordrhein-Westfalen gebe es keine einzige davon.
Geschächtet: Tierleid am Fließband
Dennoch sind in dem Schlachthof Tiere offenbar nahezu ausschließlich geschächtet worden – einen solchen Fall von Tierleid am Fließband hat auch die "Soko Tierschutz" noch nie erlebt. Geschächtetes Fleisch ist vor allem für streng gläubige Juden und Muslime aus religiösen Gründen Pflicht.
Der Kreis Unna stoppte am vergangenen Freitag die Schlachtungen in dem Betrieb, wie es in einer Mitteilung heißt. Ein Entzug der Zulassung werde geprüft. Die "Soko Tierschutz" hatte zuvor Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dortmund erstattet.
Leidensweg der Tiere beginnt oft in Bayern
Doch für die Tierschützer hört der Skandal damit noch nicht auf. Denn vor dem qualvollen Tod der Kälber haben diese ihren Recherchen zufolge bereits einen langen Leidensweg hinter sich - der oft in Bayern beginnt. Die "Soko" fand heraus, dass Kälber in ihren ersten Lebensmonaten bis zu sechs Mal von Viehhändlern verkauft werden, bis sie im Schlachthof enden.
Etwa 30 Prozent der Kälber, die in Selm landeten, stammen aus Bayern, schätzt Mülln. Einige Fälle sind datumsgenau dokumentiert.
Mülln: "Es kann nicht sein, dass ein Lebewesen so zur Ware verkommt"
Der Weiterverkauf von Kälbern ist zwar legal, der Tierschützer sieht in den teils sehr lange dauernden Transporten und der Verladung der Tiere aber eine enorme Quälerei.

Hatten die Bauern Kenntnis davon, was mit ihren Kälbern geschieht? Ein Landwirt aus Hauzenberg (Landkreis Passau), dessen Tiere laut "Soko" nach mehreren Verkäufen in Selm landeten, verneint dies auf Nachfrage der AZ. Er habe seine Tiere guten Gewissens an den Viehhändler verkauft, der ihm versichert habe, die Tiere an einen Mäster weiterzugeben.
Er finde nicht gut, dass die Tiere so schnell weiterverkauft und geschlachtet würden. Aber er sagt auch, was nach dem Verkauf passiere, "das geht mich ja eigentlich nichts mehr an". Er wolle sich dennoch in Zukunft genauer über den Verbleib seiner Kälber erkundigen.
Tierschützer Mülln reicht das nicht - er will, dass Bauern mehr Verantwortung übernehmen. "Die wissen ganz genau, dass es ein Horrortrip wird, wenn sie die Kälber auf diese Reise schicken." Und auch das ständige Weiterverkaufen der Tiere für ein paar Cent Gewinn hält er für verwerflich. "Es kann nicht sein, dass ein Lebewesen so zur Ware verkommt, dass es verschachert wird wie ein Karton."