Leichen pflastern ihren Weg

Chronik eines Kampfes zum Nürnberger Menschenrechts-Parcours: Die Anti-Mafia-Fotos der Letizia Battaglia im Nürnberger Kunsthaus.
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1979 von der Mafia eiskalt ermordet: Letizia Battaglia fotografierte den Richter Cesare Terranova am Tatort, in seinem Auto.
bayernpress 1979 von der Mafia eiskalt ermordet: Letizia Battaglia fotografierte den Richter Cesare Terranova am Tatort, in seinem Auto.

NÜRNBERG - Chronik eines Kampfes zum Nürnberger Menschenrechts-Parcours: Die Anti-Mafia-Fotos der Letizia Battaglia im Nürnberger Kunsthaus.

Leichen pflastern ihren Weg: Hingerichtete Richter, zerfetzte Jugendliche, exekutierte Kriminelle aus dem Konkurrenz-Clan. Leichen pflastern auch die Bilder-Galerie, die der Besucher im Nürnberger Kunsthaus abschreitet. Da hat der für gute Präsentationen immer zu habende KOMM-Bildungsbereich die bislang umfangreichste Ausstellung der Sizilianerin Letizia Battaglia zur beeindruckenden Chronik eines Lebens und eines Landes zusammengestellt – Fotos von 1970 bis 2009 im Kampf „Gegen die Mafia“ (so der Untertitel) und als Beitrag zum üppigen Menschenrechts-Komplex „Alles was Recht ist“.

In Europa ist die 74jährige Battaglia berühmt für ihren unerschrockenen, erschreckenden Direktblick auf die „Krake“, die Mafia. In Italien wird sie totgeschwiegen. Bis heute. Seit 20 Jahren verweigern Zeitungen ihr Fotoaufträge. Als sie vor kurzem in einer Mailänder Nobelgalerie, wo eine Berlusconi-Tochter Mitbesitzerin ist, ausstellte, ignorierte die Vernissagen-High-Society tunlichst, was an der Wand hing. „Italien wurde schon immer von einem mafiösen System regiert“, sagt die resolute Fotografin. Heute agiere das organisierte Verbrechen „sehr viel feiner und raffinierter“: „Mafia ist zur Politik geworden.“ Die Berlusconi-Regierung sorgt für Freiräume und kürzt Polizei-Etats. In Palermo etwa, einer Millionenstadt mit Korruptions-, Schutzgeld- und Drogenproblemen, sind gerade noch mal acht Streifenwagen im Einsatz.

Battaglia, die auch linke Stadträtin war, sieht rückblickend ihre erfolgreichste Zeit unter Palermo-Bürgermeister und Mafia-Jäger Leoluca Orlando. Kein Wunder, dass er am23. September zur Eröffnung spricht. Die Fotografin selbst, die sich die Tatort-Motive oft schreiend erkämpfen musste, spricht heute vom Gefühl „tiefer Erniedrigung“ und „innerer Wut“, wenn sie an das europaferne Italien denkt.

Sie wollte deshalb ihre alten Negative irgendwann schon verbrennen: „Zu viel Blut, zu viel Gewalt – es sind unerträgliche Zeugnisse einer verlorenen Schlacht“. Dann zerstörte sie „den Geruch des Blutes“. In den neuen, erstmals hier gezeigten Fotos blendet sie nackte, schöne Frauenkörper als Schutzfolie vor das Verbrechen, vor Begräbnisse und „Ehrenmänner“, vor die gekritzelten Geheimcodes des Schutzgeldes, des „pizzo“. Ein Fluchtreflex ins Leben: „Ich muss an etwas glauben.“

Der Weg zu diesen Schwarzweiß-Montagen ist der von der unverhohlenen Grausamkeit und Verführbarkeit (auch Ministerpräsident Giulio Andreotti taucht da bei Mafia-Bossen auf) hin zu starken Fotos, die das System mitunter kaum zu demaskieren scheinen. Spielende Kinder (gerne auch mit Waffen), Frauen mit Jesus Christus, Alltagsszenen. Aber es sind diese Armut und die Rollenmuster, die die Mafia bis heute ermöglichen. „Irgendwann kommt sie auch hierher“, warnt Battaglia. Und erzählt von der „Pizza Mafia“, die sie in Grönland auf der Karte entdeckte. Was drauf war? Weiß sie nicht, lacht sie. Sie hat die Pizza abgelehnt. Naturgemäß. Andreas Radlmaier

Kunsthaus (Königstr. 93) : ab 23. September, 20 Uhr; bis 1. November, Mi–Sa 14-20 Uhr, So 13-20 Uhr. Umfangreiches Begleitprogramm.

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