Lebensgefährliche Stromschläge: Falscher Arzt vor Gericht
München - Die Mädchen und jungen Frauen schnitten Stromkabel ab und hielten sie an ihre Füße, klebten sich Elektroden an die Schläfe, steckten Nägel in Steckdosen oder fassten an Elektrozäune. Am Landgericht München II hat am Dienstag ein Aufsehen erregender Prozess begonnen. Ein 30 Jahre alter Mann aus dem Raum Würzburg ist wegen versuchten Mordes an 88 Frauen und Mädchen angeklagt. Er soll sich als Arzt ausgegeben und behauptet haben, wissenschaftliche Studien zur Schmerztherapie durchzuführen. Per Skype brachte er - so die Anklage - seine Opfer dazu, sich selbst lebensgefährliche Stromschläge zuzuführen. Er soll dafür jeweils Geld geboten haben - mal 200, mal 450 Euro. In manchen Fällen sollen sogar die Eltern der Mädchen bei den angeblichen wissenschaftlichen Versuchen geholfen haben.
Die zuständige Staatsanwaltschaft München II spricht von einem "ungewöhnlichen Fall" und das Gericht schloss die Öffentlichkeit direkt zum Prozessauftakt für die Aussage des Angeklagten, Zeugenaussagen der minderjährigen Opfer sowie die Schlussplädoyers aus. Es folgte damit einem Antrag der Verteidigung, weil es "um das Sexualleben" des Mannes gehe und er inzwischen in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werde.
Der Vorsitzende Richter begründete den Ausschluss damit, dass es um das "Sexualleben" des Angeklagten und "intime Wünsche" gehe. Die Anklage gehe von der "Befriedigung des Geschlechtstriebes" als Mordmerkmal aus und von einer "fetischistischen Komponente" im Tatmotiv. Laut Anklage soll es den Angeklagten sexuell erregt haben, wenn eine Frau durch einen Stromschlag Schmerzen erleidet.
"Lebensgefährliche Bewerbung für einen Nebenjob", schrieb die Polizei, als der Fall im vergangenen Jahr bekannt wurde. Denn spätestens von 2014 an soll der IT-Fachmann Frauen und Mädchen kontaktiert haben, die auf Portalen nach einem Nebenjob suchten. Und den bot er ihnen an. Er versprach Geld für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie zur Schmerztherapie. Mal gab er sich als Arzt in einem Krankenhaus, mal als Mediziner einer renommierten Universität. Sein jüngstes Opfer war laut Anklage erst 13 Jahre alt.
Über Skype, so die Vorwürfe, wies er die Mädchen und jungen Frauen an, Apparate zu bauen, um sich selbst lebensgefährliche Elektroschocks zuzufügen. Er "legte den jeweils erforderlichen Versuchsaufbau dar, und forderte die vermeintlichen Probanden dann jeweils auf, sich über das eine Spannung von 230 Volt führende Hausstromnetz Stromschlägen auszusetzen", hieß es in der Anklage. Über die Jahre wurden die angeblichen Versuche immer aufwendiger.
Diese Videochats zeichnete er auf - um sie sich immer wieder ansehen zu können. Auf die Spur des IT-Fachmanns aus dem Landkreis Würzburg kamen die Ermittler, nachdem ein 16 Jahre altes Opfer des Mannes Anzeige erstattet hatte. Im Februar 2018 wurde er festgenommen, seither sitzt er in Untersuchungshaft.
120 Opfer aus ganz Deutschland sollen laut Polizei auf ihn hereingefallen sein. Dass nur 88 Fälle davon nun angeklagt sind, liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft daran, dass "in den weiteren untersuchten Fällen (...) eine Strafbarkeit nicht gegeben oder nicht nachweisbar" sei.
Bei der Auswertung der sichergestellten Datenträger fanden sich nach Polizeiangaben mehr als 200 Videoaufzeichnungen, die der Festgenommene von seinen angeblichen Probanden angefertigt hatte. Laut Polizei hatte der Mann bei den Verhören im vergangenen Jahr ein "Teilgeständnis" abgelegt. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass er sich zu den Vorwürfen geäußert hat, ließ aber offen, wie.
Nun muss sich der 30-Jährige wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Missbrauch von Berufsbezeichnungen und anderen Delikten vor dem Landgericht München II verantworten. Für den Prozess gegen den gebürtigen Würzburger sind zunächst 15 Verhandlungstage bis zum Januar angesetzt.