Lawinen-Experte warnt: "Die Lage wird sich verschärfen"

Eine Snowboarderin stirbt in Tirol durch ein Schneebrett abseits der Piste. Thomas Bucher vom Alpenverein erklärt, was Freerider beachten müssen und was gefährliche Lawinen begünstigt.
von  Ruth Schormann
Ein Skifahrer fährt in Tirol durch unberührten Pulverschnee – ein gefährliches Unterfangen.
Ein Skifahrer fährt in Tirol durch unberührten Pulverschnee – ein gefährliches Unterfangen. © imago

München - Binnen kürzester Zeit kann sich die weiße Pracht zur tödlichen Gefahr wandeln: Jedes Jahr sterben in den Alpen um die 100 Menschen durch Lawinen, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV), der passionierter Skitourengeher und Freerider ist.

Bei dieser Form des Wintersports liegt der Reiz darin, unberührten Schnee abseits der Pisten auf Ski oder Snowboard zu durchfahren. "Das kann man nicht beschreiben, klar ist das was Tolles, im tiefen Pulverschnee die Kurven, die Dynamik zu erleben. Ich möchte das in meinem Leben nicht missen", schwärmt er im Gespräch mit der AZ. Doch es gibt ein großes Aber: "Ich weiß, was ich tue", sagt er. Und das sollte jeder Wintersportler, der sich ins Gelände abseits präparierter Pisten wagt.

Bucher beantwortet die wichtigsten Fragen rund um Lawinengefahr und Freeride-Ausrüstung:

Abseits der gesicherten Pisten lauert immer Gefahr

Was sollten Skifahrer und Snowboarder im Hinblick auf mögliche Lawinen beachten? Die wichtigste Regel, sagt Bucher, ist, zwischen gesichertem und ungesichertem Skiraum zu unterscheiden. "Auf den Pisten muss man sich keine Sorgen wegen Lawinen machen", stellt er klar.

Viele reizt es gerade, abseits dieser präparierten Bereiche zu fahren. "So war es ja auch bei der Frauenärztin aus München, die in Tirol tödlich verunglückt ist", sagt Bucher, "sie war abseits der Pisten unterwegs".

Welche Vorkehrungen müssen solche Freerider treffen? "Erstens: Man muss sich mit Lawinen auskennen. Wer das nicht tut und abseits unterwegs ist, begibt sich in ein unkalkulierbares Risiko", sagt Bucher. Erfahrung sei ganz wichtig für diesen Sport. "Das andere ist die richtige Ausrüstung, die aus drei Pflichtteilen besteht: einem Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), eine Schaufel und eine Sonde. Wer viel beim Freeriden ist, sollte auch einen Lawinenrucksack dabei haben", sagt Bucher. Denn das erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit.

Aber auch die 33-Jährige aus München, die in den Ötztaler Alpen ums Leben kam, hatte einen Lawinenrucksack. Warum hat das nicht geholfen? "Das ist auch keine Lebensversicherung, die immer funktioniert. Man muss den Rucksack selbst auslösen, wenn man das nicht macht oder er nicht funktioniert, ist das keine Garantie zu überleben."

Wie verhalte ich mich bei einer Lawine richtig? Der DAV schult

Was können am Freeriden Interessierte noch tun? Die allermeisten Sektionen des Alpenvereins bieten Lawinen- und Skitouren-Kurse. "Man muss ja auch wissen, wie man mit dem Lawinenverschüttetensuchgerät umgeht", sagt Bucher, oder auch, wie man sich verhält, wenn ein Mitglied der Gruppe verschüttet wird und wie man jemanden wieder findet. Denn dann "bin ich plötzlich in der Situation, dass von mir das Leben eines anderen abhängt", sagt Bucher. Die Chance, zu überleben, sinke nach 15 Minuten rapide.

Steigen die Zahlen der Lawinentoten an? "Nein, es bleibt ziemlich gleich", sagt Bucher. "Wenn man bedenkt, wie viele Millionen in den Bergen unterwegs sind, sinkt das individuelle Risiko eher, auch, weil die Leute besser ausgerüstet und besser geschult sind."

Wie ist aktuell die Lawinenlage in den bayerischen und österreichischen Alpen? "Sie liegt überwiegend bei Lawinen-Warnstufe eins und zwei von fünf", also entspannt – außer entlang des Tiroler Hauptkamms. Das liegt laut Bucher unter anderem am "Altschnee-Problem". "Das kann sich zum Teil den ganzen Winter lang halten", sagt er.

Die Lawinengefahr ist immer gegeben

In den bayerischen Alpen liegt kaum Schnee – heißt das, die Lawinengefahr sinkt? "Auf den ersten Blick denkt man, wenig Schnee bedeutet wenig Lawinengefahr, aber wenig Schnee ist oft heikler als viel, denn dann liegen die störanfälligen Schichten, die man als Skifahrer berührt, näher an der Oberfläche."

Welche Rolle spielt im Hinblick darauf der Klimawandel bei der Entstehung von Lawinen? Weil wir mehr extreme Wetterlagen und extremere Winde haben werden, sagt Bucher, wird sich die Lawinenlage eher verschärfen. Gerade Übergänge von wenig zu viel Schnee sind anfällig, wenn starke Winde wehen. "Es gilt: Der Wind ist der Baumeister der Lawinen", erklärt er.

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