Lauras Leben nach dem Pferdebiss

Laura Tafertshofer sieht aus wie eine ganz normale 24-Jährige – bis sie ihre Perücke abnimmt. Ein Pferd hat die Mainburgerin im Mai 2015 in den Kopf gebissen. Die Verletzungen zeichnen sie bis heute. Über ihren Leidensweg und ihr Schicksal hat die zweifache Mutter einen Blog geschrieben und sich so zurück ins Leben gekämpft.
Es war am 10. Mai 2015. Muttertag. Laura geht mit ihrer Familie die tägliche Spazierrunde in Mainburg (Kreis Kelheim) und kommt an einer Pferdekoppel vorbei. Pferde sind ein Teil von Lauras Leben. Mit vier ist sie das erste Mal geritten, zu ihrem 18. Geburtstag bekommt sie einen Hengst.
Sie kennt sich mit den Tieren aus und merkt, dass die beiden Pferde auf der Koppel in einem schlechten Zustand sind. Sie machen einen abgemagerten Eindruck, die Hufe sind nach oben gewachsen. Die leidenschaftliche Reiterin macht Fotos von den Pferden, um sie einem Tierschutzverein zu zeigen. Als sie in die Hocke geht, um die Hufe zu fotografieren, passiert es: Eines der Pferde, das bis dahin etwa zwei Meter vom Zaun entfernt stand, beißt sie unvermittelt in den Kopf.
„Ich habe nur gesehen, wie es meine Haare im Maul hatte“
„Ich habe nur noch gesehen, wie es plötzlich meine Haare im Maul hatte“, erinnert sich Laura. „Und dann lag ich schon auf dem Schotterweg.“
Mit einem Rettungshubschrauber wird sie ins Klinikum nach Ingolstadt geflogen, dort operiert. „Ich hatte zuerst keine Schmerzen. Erst nach der OP habe ich richtig realisiert, was passiert ist.“
Durch den Biss hat sie ein großes Stück ihrer Kopfhaut verloren. 14 Tage lang bleibt sie im Krankenhaus, unterzieht sich zwei weiteren Operationen. Die Ärzte entnehmen ihr einen Hautlappen aus dem Arm und transplantieren ihn. Doch das Gewebe stirbt ab. Laura muss ins Uniklinikum Regensburg.
Dort wird erneut Haut transplantiert. Doch ein Infekt macht weitere Behandlungen erforderlich. „Die nächsten fünf Tage habe ich beinahe durchgeschlafen, ich war für gar nichts zu gebrauchen.“ Die Ärzte verordnen ihr nun eine V.A.C.-Therapie. Dabei wird ein Wundverschluss angebracht, der durch Unterdruck aufrechterhalten wird und Wundflüssigkeit absaugt. So soll sich neues Gewebe bilden können.
"Ich habe nur noch gesehen, wie das Pferd plötzlich meine Haare im Maul hatte", erinnert sich Laura an den Unfall. Foto: privat
Am 1. August darf Laura das Uniklinikum verlassen, sie muss die Pumpe für den Wundverschluss aber stets bei sich tragen und zweimal wöchentlich zur Kontrolle. „Ich war zwar wieder daheim, trotzdem war das sehr unangenehm für mich“, sagt Laura. „Ich wollte gar nicht rausgehen. Ich hatte immer diesen Schlauch am Kopf, außerdem war es auch nicht gerade leise. Wie eine permanent laufende Kaffeemaschine.“
Erst am 28. Oktober wird sie davon erlöst – am nächsten Tag steht wieder eine große Operation an. Am 5. November, fast ein halbes Jahr nach dem Unfall, erhält Laura die erlösende Nachricht: Die Transplantation war erfolgreich, die Wunde kann heilen.
Die Narben sind deutlich, der Kopf bleibt zum Teil kahl
„Ich habe noch nie so vor Freude geheult wie an diesem Tag“, sagt die 24-Jährige. Sie darf das Krankenhaus verlassen und wieder zurück nach Hause. Das Schlimmste ist überstanden. Doch an den Folgen des Unfalls leidet sie weiterhin: Die Narben am Kopf sind deutlich zu sehen und auf der transplantierten Stelle wachsen keine Haare mehr.
Beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Schwimmen gaffen sie viele Menschen an: „Das ist ja zunächst einmal verständlich. Ich würde das wahrscheinlich auch machen, wenn mir jemand entgegenkommt, der so aussieht wie ich. Viele kennen da aber keine Grenze und schauen auch beim fünften Mal noch genauso blöd wie am Anfang. Das hat mich schon verletzt. Ich bin mir manchmal wirklich vorgekommen wie ein Monster.“
Laura zieht sich deswegen zunehmend zurück, verlässt das Haus nur noch, wenn es unbedingt notwendig ist. Kraft gibt ihr in dieser schwierigen Zeit ihre Familie, vor allem ihre beiden Kinder.
An ein Erlebnis erinnert sie sich besonders: „Als wir zum ersten Mal wieder zusammen spazieren gegangen sind und an der Koppel vorbeikamen. Da kam auf einmal alles wieder hoch. Mir wurde schlecht, ich hab angefangen zu heulen, bekam zittrige Hände. Da hat mein Sohn Philipp gesagt: ‚Mama, wenn du ganz an der Seite gehst, passiert dir nichts‘. Ich dachte mir dann: Dein Sohn will, dass du da vorbeigehst, also machst du das jetzt auch. Ich hab’ zwar Rotz und Wasser geheult, aber ich hab’ es durchgezogen.“
Die Perücke hilft ihr, sich wie ein normaler Mensch zu fühlen
Laura kämpft sich Stück für Stück in den Alltag zurück. Geholfen hat ihr dabei eine Perücke, die sie in der Öffentlichkeit immer aufsetzt. „Damit hab’ ich mich wieder wie ein normaler Mensch gefühlt.“
Laura mit Perücke Foto: privat
Doch so wie früher ist es nicht mehr – und wird es nie wieder werden. „Dieser Unfall war für mich wirklich ein Wendepunkt in meinem Leben“, sagt Laura. „Ich bin heute ein anderer Mensch. Ich habe in dieser schwierigen Zeit gelernt, was wirklich wichtig ist. Gesundheit, Familie und Freunde. Aber ich bin auch vorsichtiger geworden. Und etwas ängstlicher.“ In dieser Zeit reift in Laura zum ersten Mal der Gedanke, über das Geschehene zu schreiben. Im August 2016 rät ihr ein Therapeut, sich die Ängste von der Seele zu schreiben. Die 24-Jährige startete einen eigenen Blog: „Mein neues Leben“. Darin erzählt sie von ihrem Unfall, ihren Krankenhausaufenthalten und der harten Zeit danach.
Rückmeldungen auf die Geschichte geben ihr Mut und Motivation
Die Entscheidung, ihre Geschichte öffentlich zu machen, hat sie nie bereut – auch, weil sie dadurch neue Kontakte knüpfen konnte. „Ich wollte auf Leute treffen, denen vielleicht etwas Ähnliches passiert ist wie mir.“ Und sie hat Rückmeldungen bekommen: „Viele haben mir gesagt, sie finden es mutig, dass ich damit so offen umgehe. Das hat mich aufgebaut und ist für mich auch eine Motivation, weiter zu machen.“
Durch ihren Blog und ihre vielen Aufenthalte im Krankenhaus hat die 24-Jährige auch neue Freundschaften geschlossen. „Diese Menschen hätte ich sonst wohl nie kennengelernt. So gesehen hatte der Unfall auch seine guten Seiten.“
Mittlerweile kann sie alles sogar ein bisschen mit Humor nehmen: „Ich bin ja immer noch ein Mensch, egal wie ich ausschaue. Ich brauche nur morgens im Bad nicht ganz so lange.“