Lass Sumpfblüten sprechen

Wo ein Willy ist, ist auch ein Weg: De Ville, der Captain Hook des Rock`n`Roll, lief im Löwensaal zu großer Form auf.
Ein besseres Beispiel für straffreies Rauchen auf der Bühne als künstlerische Handlung kann es gar nicht geben: Willy de Ville, der hagere Leidensmann, der immer noch so aussieht, als trainiere er für die Rolle des Captain Hook, betritt die Bühne des Nürnberger Löwensaal mit der Kippe in der Hand. Und schlechter Laune in den Mundwinkeln. Die sollte sich legen. Am Ende einer musikalischen Irrlichterkette, bei der Blues, Cajun und Rock’n’Roll um die Wette blinkerten, zeigte die Stimmungskurve steil nach oben. Wo ein Willy ist, ist auch ein Weg.
Die Nürnberger Veteranen-Rallye läuft weiter auf Hochtouren in diesen Wochen, wo nach Gary Moore und Dickey Betts jetzt die Hooters und Little Feat warten. Da kann sich William Borsay alias Willy de Ville, der sich als demnächst 58-Jähriger öffentlich wundert, wie er all seine Selbstzerstörungsversuche überleben konnte, getrost an Chuck Willis erinnern, der sich „so bad“ feelte und den man „King of Stroll“ nannte, damals in den 50er Jahren, als die meisten im Publikum, raunt der Desperado von oben rauchend herab, „nur ein Glimmen in Papas Auge“ waren.
Wundertüte, nicht Musikbox
Da ist ein Song, der „nur“ 27 Jahre alt ist wie „Spanish Stroll“, folgerichtig was für Jungspunde. Zu diesem Zeitpunkt haben der transsylvanische Gent und seine in satten Klangfarben schwelgende, sechsköpfige Band den verwackelten Beginn im Hawaii-Gewässer schon verkraftet. Gut gelaunt und gesprächig wie selten läuft die Raukehle mit dem Dylan-Näseln zu großer Form auf. Musikalische Grenzstreifen zwischen Louisiana und Harlem dienen als Biotope: So landet Hendrix’ „Hey Joe“ verkleidet in Tijuana, das „Heartbreak Hotel“ von Elvis ist total umgebaut, „Cadillac Walk“ ein rollender Stampfer. „Bacon Fat“, ein Saft-Boogie, ist die Quittung für reingerufene Wunsch-Titel. Denn, knurrt De Ville mit gespielter Empörung, er sei „doch keine Musikbox“. Stimmt, eher eine Wundertüte.
Sumpfblüten einer Karriere: Vom bluesglänzenden „Muddy Waters Rose Out Of Mississippi Mud“ übers erotisch schwänzelnde „Demasiado Corazón“ bis hin zum schleppenden „So so real“ vom neuen Album „Pistola“ – alle Blumen sprechen. Auch der weiße Strauß, der das Konzert über auf dem Keyboard stand und den Willy De Ville am Ende, ganz Kavalier, in die begeisterte Menge wirft. Andreas Radlmaier