Landtagswahl 2018: Markus Söder und Edmund Stoiber im großen AZ-Interview
München - AZ-Interview mit Markus Söder und Edmund Stoiber: Der eine ist seit März dieses Jahres bayerischer Ministerpräsident, der andere war es von 1993 bis 2007. Beide haben Jura studiert und sind verheiratete Familienväter. Söder lebt in Nürnberg, Stoiber in Wolfratshausen.
Hier gibt's den ersten Teil des Söder-Stoiber-Interviews
In Stilfragen war die CSU in letzter Zeit nicht vorn dabei. Auch viele Stammwähler sagen, vor allem Parteichef Horst Seehofer habe kein gutes Bild abgegeben.
SÖDER: Stilkritik ist in Ordnung, aber sie muss für alle gelten. Ich fand es eine unglaubliche Entgleisung vom Grünen-Vorsitzenden Habeck, am Jahrestag des Amok-Attentats in München zu sagen, die CSUler seien Amokläufer. Ich habe das Wort Asyltourismus, das übrigens auch in Unterlagen der EU zu lesen ist, nicht mehr verwendet, weil es als missverständlich empfunden wurde. Aber Stil ist keine Einbahnstraße. Und wir müssen aufpassen, dass uns vor lauter feuilletonistischer Stilkritik nicht der Blick für die wahren Probleme der Leute verloren geht.
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Seehofer hat die Große Koalition fast gegen die Wand gefahren.
SÖDER: Hat er nicht. Das ist überzogen. Es geht darum, konstruktiv zu sein und Probleme positiv zu lösen, und nicht nur um die Frage, was in der Vergangenheit war. Für die Menschen ist es wichtiger, was die Zukunft bringt.
Auf dem Parteitag fiel der Applaus für Seehofer deutlich zurückhaltender aus als für Sie. Und wenn man sich angehört hat, was da auf dem Gang gesprochen wurde, dann hat man schon den Eindruck, es kriselt.
SÖDER: Ich war nicht auf den Gängen. Ich stehe ja auch zur Wahl, und derjenige, der zur Wahl steht, findet immer eine andere Resonanz. Außerdem darf man nicht vergessen: Es ist keine einfache Zeit für die CSU. Aber mich freut schon, dass diese Partei entschlossen und kampfbereit bleibt. Wichtig war es, der Partei durch den Parteitag Zuversicht zu vermitteln.
Für den Fall eines enttäuschenden Wahlergebnisses – glauben Sie, dass Sie trotzdem Ministerpräsident bleiben?
SÖDER: Das entscheidet spätestens vier Wochen nach der Wahl der bayerische Landtag. So kurz ist laut Verfassung nämlich die Zeit dafür. Ich bringe die nötige Geduld und auch die Kraft mit, um ein solches Amt zu schultern.
Dabei haben sich die Zeiten geändert, besonders die mediale Landschaft ist eine andere als zu Herrn Stoibers aktiver Zeit.
SÖDER: Stimmt, heute sind zehn Jahre so viel wie 30 Jahre zu deiner Zeit, Edmund – obwohl du die auch locker geschafft hättest (lacht). Aber wir leben in einer anderen medialen Verdichtung der Dinge. Letztlich entscheiden aber die Bürgerinnen und Bürger.

Dieser Sommer war in München geprägt von Großdemonstrationen. Da war keine dabei, die Ihre Positionen bejaht hätte. Wie gehen Sie denn damit um?
STOIBER: Natürlich nimmt man das ernst, diese Demonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz. Oder nehmen Sie "Ausgehetzt", wo allerdings nur eine polemische und keine Sachdebatte geführt wurde. Die Demonstration gegen die Wohnungssituation sollten wir zum Anlass nehmen, unser Baurecht mal unter die Lupe zu nehmen. Da gibt es viele gut gemeinte, in der Praxis aber teure und sinnlose Auflagen, endlose Planungsverfahren, Widerspruchsmöglichkeiten. Warten Sie mal ab, bis die ganzen Nachverdichtungen kommen werden, für die jetzt zwar viele sind, aber wo es große Widerstände geben wird von denen, die dadurch Nachteile haben werden.
Die größte Demo mit 40.000 Teilnehmern richtete sich gegen das Polizeiaufgabengesetz der Staatsregierung.
STOIBER: Da nehme ich mal ein Beispiel: drohende Gefahr. Wir hatten zum Beispiel bisher das riesige Problem, dass die Polizei Opfer von Stalkern nicht wirksam schützen konnte. Denken Sie an den Fall Burzik vor zwei Jahren, der grausame Mord eines Stalkers an seiner Ex-Freundin hier in München. Die Frau hatte sich in ihrer Situation vorbildlich verhalten, ihren Wohnsitz dreimal gewechselt, die Behörden immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, wurde aber am Ende doch mit Dutzenden von Stichen niedergemetzelt. Die Polizei war machtlos. Das PAG hat die Schutzmöglichkeiten der Polizei erweitert. Es ist doch immer eine Frage der Abwägung, auf der einen Seite Sicherheit, auf der anderen der Eingriff in die persönliche Freiheit. Bei "Ausgehetzt" hat aber überhaupt keine Debatte stattgefunden, hier wurde daraus sofort eine Demonstration gegen die CSU. Deshalb darf ich mich als Politiker nicht alleine von Demonstrationen leiten lassen, so wichtig dieses Grundrecht ist, quasi das Presserecht des kleinen Mannes.
SÖDER: Zu den Demonstrationen generell: Natürlich darf jeder demonstrieren. Wir hatten in Bayern ja auch früher größere Demos, wenn es zum Beispiel um die Friedensbewegung ging. Damit habe ich kein Problem. Aber ich kann mich nur sehr wundern, wenn SPD, Grüne und FDP sich einlassen mit Antifa-Gruppen und gemeinsam demonstrieren.
Verstehen Sie den Protest gegen das PAG nicht?
SÖDER: Wenn ich mir die Argumente angehört habe, zum Beispiel, dass jeder bayerische Polizist jetzt Handgranaten werfen dürfe, da habe ich mir auch gedacht: So ein Gesetz darf doch niemals den Landtag passieren. Aber alle diese Behauptungen wurden widerlegt. Oder kennen Sie irgendeinen Fall, der von der Opposition oder einer außerparlamentarischen Gruppe genannt worden wäre, der auf einen Missbrauch der neuen Befugnisse im PAG hingewiesen hätte, oder gar irgendeinen Vorwurf, der sich bestätigt hätte? Im Gegenteil: Andere Bundesländer beginnen, dieses Gesetz zu kopieren, weil es die Polizei eindeutig in die Lage versetzt, Bürger besser schützen zu können.
Liveblog: 30.000 Demonstranten in der Innenstadt
Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wurde nach Protesten geändert.
SÖDER: Ich habe gesagt, dass ein Gesetz, das aus der Vorgängerzeit stammt und an einigen Stellen verbesserungsfähig war, geändert werden muss. Beim PAG habe ich mir alles genau durchgelesen und es für richtig empfunden. Beim PAG hat sich übrigens die SPD im Landtag früher enthalten. Die Grünen waren dagegen, aber die SPD nicht. Da kann man jetzt schlecht von Anstand reden. Das ist ein Teil der SPD, der zeigt, dass diese Partei unglaubwürdig geworden ist und sich deshalb im freien Fall befindet. Über das PAG rede ich auch mit Profis, zum Beispiel mit der Polizei. Junge Beamte, die am Münchner Hauptbahnhof im Einsatz sind oder in anderen schwierigen Stadtteilen, sagen mir, dass sie anders angegriffen werden als früher, und zwar viel härter. Dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden den ersten Schlag ausführen, obwohl das gar nicht stimmt. Da helfen Bodycams, jungen Polizisten Rechtssicherheit zu verschaffen. Und wenn beispielsweise ein Schüler ankündigt, es werde etwas passieren, er werde sich an allen rächen, dann muss die Polizei jetzt nicht mehr abwarten, bis etwas konkret passiert, sondern kann zu ihm nach Hause gehen und zum Beispiel nach Waffen suchen. Da sage ich: In der Abwägung, vielleicht auch Leben zu retten, ist das für mich mehr als vertretbar.
Sind Ihnen die Demos egal?
SÖDER: Nein, auch die zum Wohnungsbau nehme ich natürlich ernst und respektiere sie auch. Das Thema Wohnungsbau ist an sich ein kommunales Thema. Und in München wurde unter Rot-Grün und Christian Ude vieles verschlafen. Da sehe ich jetzt die Notwendigkeit, zu helfen – allerdings intelligent. Bettenburgen in die Vorstädte bauen, wird den sozialen Frieden in München nicht erhöhen. Ganz im Gegenteil. Da wird’s dann Demos gegen die Zerstörung der Gartenstädte geben.
"Wir sind quasi die Bank oder der Sponsor für München"
Man kann das auch als eine Repolitisierung sehen, oder?
SÖDER: Ja, natürlich, das Phänomen AfD ist auch eine Art Repolitisierung. Sie sehen: Jedes Argument hat seine zwei Seiten. Edmund Stoiber hatte 2003 einen gigantischen Wahlerfolg eingefahren, der so nie wieder zu toppen sein wird. Trotzdem, Edmund, wenn du dich erinnerst, in den Jahren 1998 bis 2003 sind viele Wähler absolut verloren gegangen, die sich aus dem politischen Prozess ausgeklinkt haben. Die Wahlbeteiligung ist damals gesunken. Wir alle haben das damals bedauert. Jetzt kommen viele wieder zurück. Aber diese Repolitisierung führt nicht automatisch zu einer Redemokratisierung, weil ein Teil dieser Leute die Demokratie, so wie wir sie kennen, nicht mögen.
STOIBER: Ich möchte einmal versuchen zu erklären, was sich verändert hat. Das Gemeinschaftsgefühl hat in Teilen gelitten. Wenn ein schweres Unglück passiert, ist es heute für viele am wichtigsten, das mit dem Handy aufzunehmen. Das Verhalten ist egoistischer geworden, brutaler. Wie kann es sein, dass Menschen, die Leben retten, Ärzte, Helfer, dass diese Menschen angegriffen werden? Da hat sich Gewaltiges verändert. Gerade jetzt muss man den Bürgern klarmachen, es geht um Bayern, es geht um die Substanz unseres Landes. Jetzt geht es auch um Zusammenhalt. Den kann doch nur eine Volkspartei wie die CSU schaffen. Wenn ich an meine Zeit denke, an die Auseinandersetzung zwischen Strauß und Willy Brandt, zwischen Kohl und Helmut Schmidt, zwischen mir und Gerhard Schröder – da gab es echte persönliche Gegensätze, eine klare Alternative. Wo ist der Herausforderer auf Augenhöhe mit Markus Söder? Heute sieht der Bayerntrend sieben Parteien im Landtag. Diese Zersplitterung der Parteienlandschaft kann uns nur schaden.

Die Wähler sind heute experimentierfreudiger?
SÖDER: Wenn man sich die Bewegungen ansieht, ja. Die SPD hatte beim letzten Mal mit Ude 20 Prozent, jetzt haben sie fast zehn Prozent weniger und sich damit halbiert. Die Grünen sind dafür nahezu doppelt so stark. Es gibt aber auch noch eine andere Situation, die neu ist: Bayern ist ein homogenes Land, aber München und die Region sind heterogener geworden. Wir haben eine unglaubliche Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. In den letzten zehn Jahren hat sich durch den Zuzug die Stadtbevölkerung stark ausgetauscht. Manche kommen nur kurz oder bleiben nur einige Jahre, weil sie für einen Konzern arbeiten. München soll aber seinen alten Charme behalten.
Wahlplakat-Flut in München: Völlig verkopft
Söder: Die Grünen haben den Praxistest nicht bestanden
Haben Sie einen speziellen Plan für die Landeshauptstadt?
SÖDER: Durchaus. Wir werden zum Beispiel die MVV-Diskussion jetzt intensiv begleiten. Wir werden uns in den nächsten Wochen treffen und sowohl mit der Landeshauptstadt als auch mit dem Umland konzeptionell daran arbeiten. München droht an dem Verkehr zu ersticken.
Müssen wir bis 2030 auf eine Lösung warten?
SÖDER: Alles im Leben sind Schritte. Wir werden mit den Kommunalpolitikern darüber diskutieren, wie wir das vielleicht schneller erreichen. Wir wollen zu einem Ein-Euro-Ticket kommen. Wir brauchen mehr Linien und mehr Fahrzeuge auf den Linien. Und wir brauchen um München herum ein Tangentialsystem in Form einer Ring-S-Bahn oder von Expressbussen, damit die Menschen nicht immer durch die ganze Stadt fahren müssen. Statt Fahrverboten wollen wir ein hochattraktives Angebot für den ÖPNV. (Lesen Sie hier den AZ-Kommentar zu Söders Ticket-Plänen)
Das kostet viel Geld.
SÖDER: Vier Milliarden zahlt der Freistaat bisher schon für München pro Jahr – vom ÖPNV bis zu den Hochschulen. Wir sind quasi die Bank oder der Sponsor für München. Wichtige Vorhaben werden nicht von der Stadt finanziert, sondern vom Freistaat. Mir ist es wichtig, dass München noch besser mit den Landkreisen und der Region vor den Stadttoren umgeht. Aus der hitzigen MVV-Diskussion spürt man, dass sich viele im Umland emotional nicht mitgenommen fühlen. Da geht es nicht nur ums Geld, sondern um eine andere Kultur des Miteinanders.
Die Grünen werden sich freuen, denn das Ein-Euro-Ticket war ihre Idee.
SÖDER: Was ich nicht verstehe, warum sie die U-Bahn hier so lange blockiert haben. Da stellt sich schon die Frage, ob eine Regentschaft der Grünen in München erstrebenswert wäre. Ich erinnere an grüne Bürgermeister, die für den Zustand der Kliniken verantwortlich waren. Also, der Praxistest der Grünen war, gelinde gesagt, mittelprächtig. Politik ist immer auch Praxistest, und den haben die Grünen nicht bestanden.
