Landtagsanfrage zeigt: Tierversuchs-Rekord in Bayern

Bayern - So viele Tiere wie in Bayern müssen in keinem anderen Bundesland im Dienst der Wissenschaft sterben. Mehr als eine halbe Million sind es pro Jahr, die für medizinische Experimente verwendet und getötet werden.
Eine herausragende Rolle, wenn es um Tierversuche geht, spielt die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Ein Beispiel dafür ist das "Interfaculty Center for Endocrine and Cardiovascular Disease Network Modelling and Clinical Transfer" (Icon), das gerade auf dem Campus des Uni-Klinikums in Großhadern entsteht und Ende 2024 in Betrieb gehen soll. Die Kosten von 50 Millionen Euro für das Projekt mit dem langen Namen teilen sich Bund und Land.
Bis zu 80 Prozent der Tiere genetisch verändert
Etwas nähere Aufschlüsse über Sinn und Zweck des millionenschweren Vorhabens gehen aus der Antwort der Staatsregierung auf eine parlamentarische Anfrage des Münchner Landtagsabgeordneten Christian Hierneis (Grüne) hervor. Danach werden dort jährlich etwa 150 Schweine und rund 1.000 Mäuse zu Objekten wissenschaftlicher Forschung gemacht. Die meisten Tiere, bis zu 80 Prozent, werden laut Staatsregierung genetisch verändert.
Für den bundesweit vernetzten Verein "Ärzte gegen Tierversuche", der München als "größte Tierversuchshochburg" ausgemacht hat, ist die Errichtung des Icon-Labors ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. "Anstatt sich humanbasierter Spitzenforschung mittels Multi-Organ-Modellen, Computersimulationen oder Bevölkerungsstudien zu widmen, wird auf althergebrachte Forschung am Tier gesetzt", kritisiert Diplom-Biologin Silke Strittmatter das mit Steuergeld finanzierte Versuchslabor.
Professor Bruno Reichart, langjähriger Ordinarius der Herzchirurgie im Uni-Klinikum Großhadern, ist wohl der bekannteste Arzt in der Geschichte der LMU. Herztransplantationen machten ihn ab Anfang der 1980er Jahre weltweit berühmt.
Permanenter Mangel an Spenderorganen
Tierversuche, längst auch mit genetisch manipulierten Schweinen, sind bei Reichart fester Bestandteil seines beruflichen Profils. Das trifft vor allem auf die letzten 25 Jahre zu, als er damit begann, eine wissenschaftliche Vision real werden zu lassen, die den permanenten Mangel an Spenderorganen beenden würde: Xenotransplantation, die Übertragung tierischer Organe auf den Menschen.
Auch wenn er als Hochschullehrer 2011 in den Ruhestand trat, spielt Professor Reichart in dem Netzwerk aus universitären und privaten Einrichtungen, die Xenotransplantation zu einem alltäglichen medizinischen Vorgang machen wollen, als Chefkoordinator nach wie vor eine entscheidende Rolle.
Vor gut drei Jahren, 2018, wurden Reichart und das Konsortium auf wissenschaftsnahen Plattformen gefeiert. Zwei Affen, denen im Klinikum Großhadern die Herzen von Schweinen eingepflanzt worden waren, hatten sechs Monate überlebt, ehe sie im Dienst der Wissenschaft getötet wurden. Der Durchbruch auf dem Weg zum Ziel?
Klinische Studien, also die Übertragung eines Schweineherzens auf den Menschen, seien aus medizinischer Sicht zeitnah machbar, erklärte Reichart damals. Die ethische Problematik, die mit der "Vermischung" von Mensch und Tier verbunden ist, hat er aber nicht aus den Augen verloren. "Xenotransplantation kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft dahintersteht", sagte er zur AZ.
Affen wird das Herz von Schweinen eingesetzt
Für den Verein "Ärzte gegen Tierversuche", der das Credo seiner Arbeit bereits im Namen zum Ausdruck bringt, fand die entscheidende ethische Grenzüberschreitung von Reichart und seinem Team bereits 1998 statt. In diesem Jahr begannen die Experimente, bei denen Affen das Herz von Schweinen eingesetzt wurde. In der Datenbank der Ärzte-Organisation, die sich ausschließlich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen stützt, ist das qualvolle Leiden und Sterben Dutzender Affen dokumentiert - eine Grusel-Lektüre für Tierfreunde.
Zuständig für die Genehmigung dieser Experimente, die im obersten noch zulässigen Hardcore-Bereich angesiedelt sind, ist die Regierung von Oberbayern. "Seit 1998", erklärte Behördensprecherin Gabriele Große-Holthaus der AZ, "wurden insgesamt sechs Versuchsanträge genehmigt. Im Rahmen dieser Genehmigung wurde Versuche mit insgesamt 86 Pavianen durchgeführt."
In seiner parlamentarischen Anfrage hat Christian Hierneis auch auf einen Entschließungsantrag des Europa-Parlaments hingewiesen. In dem wird die Kommission aufgefordert, einen EU-weiten Aktionsplan mit konkreten Zielvorgaben und Zeitplänen für den Ausstieg aus Tierversuchen aufzustellen und die Entwicklung von tierversuchsfreien Methoden und Technologien stärker zu fördern und zu beschleunigen.
Die Antwort der Staatsregierung: "Nach geltendem Recht", heißt es in der von Wissenschaftsminister Bernd Siebler unterschriebenen Antwort, "sind die Genehmigungsbehörden verpflichtet, Tierversuche zu genehmigen, sofern die rechtlichen Anforderungen erfüllt sind (...). Ein EU-weiter Aktionsplan mit konkreten Zielvorgaben und Zeitplänen für den Ausstieg aus Tierversuchen ist bisher nicht bekannt. Ein generelles Verbot von Tierversuchen dürfte in Deutschland nur schwer mit dem Grundrecht der Forschungsfreiheit vereinbar sein."