Landshut: Bis zu 2500 Schallplatten täglich in einem der größten Presswerke
Landshut - Während die Absätze für CDs seit der Jahrtausendwende um die Hälfte zusammengeschrumpft sind – und Online-Dienste und Downloads dem Medium den Rang ablaufen –, erlebt mit der Schallplatte ein altbekannter Herausforderer sein Comeback: Mit über drei Millionen verkauften Exemplaren pro Jahr erfreut sie sich enormer Beliebtheit. Dabei waren die Verkaufszahlen zwischendurch auf wenige Hunderttausend gesunken.
Von der Liebe zum "Schwarzen Gold" profitieren die Presswerke, die sowohl für Künstler als auch Plattenfirmen Pressungen in unterschiedlicher Auflagenhöhe herstellen. Eines der fünf größten Presswerke Deutschlands befindet sich in Tiefenbach und wurde 2006 von Andreas Bauer gegründet. Bis zu 2.500 Schallplatten werden dort täglich hergestellt.
"Zwei Tage die Woche bin ich hier": Geschäftsführer Helge Sudau sitzt auf der gemütlichen Terrasse des Vinylpresswerks MY45 in Tiefenbach. Den Rest der Arbeitswoche verbringt der gebürtige Schleswig-Holsteiner in seiner Wahlheimat München – wo er in seiner eigenen Anwaltskanzlei arbeitet.
Presswerk in Tiefenbach: Bis zu 2.500 Schallplatten werden dort täglich hergestellt
Während seines Jurastudiums in Passau lernt er den Fernsehtechniker Andreas Bauer kennen, der im Münchner Umland nach einer Immobilie suchte, um sich ein Schallplattenpresswerk einzurichten. Er wird in Tiefenbach fündig – MY45 ist geboren.
MY45: Im Firmennamen findet sich die Abspielgeschwindigkeit einer Single-Schallplatte wieder, des einzigen Formats, das im Werk anfangs gepresst wird. Bauer und Sudau bleiben über Jahre freundschaftlich verbandelt, 2015 gehen sie eine geschäftliche Beziehung ein. Die trägt bald Früchte: Die Schallplattenproduktion läuft auf Hochtouren, 14 Angestellte arbeiten mittlerweile in dem Presswerk.
Einer davon ist Tontechniker Dario Köstinger, der den Rohling für den eigentlichen Pressvorgang liefert: Aus dem meist digitalen Ausgangsmaterial "schneidet" er das Master. Das Verfahren dazu hat sich seit Jahrzehnten bewährt, nur die Vorverarbeitung findet mittlerweile am Computer statt. Ein Schneidstichel ritzt die Rille in Echtzeit auf die "Masterfolie", in der Galvanik werden davon ein Negativ und schließlich Pressschablonen gefertigt. Mit einer Schablone können wenigstens 1.000 Platten gepresst werden, bevor die Klangqualität abnimmt und man einen neuen Abzug verwenden muss.
Aufwendiges Verfahren doch das Pressen des Vinyls kostet pro Platte nur wenige Euro
Diese ersten beiden Arbeitsschritte sind kostspielig: Etwa 400 Euro teuer ist die Anfertigung eines "Stamper"-Paares für beide Schallplattenseiten, das Pressen des Vinyls dagegen kostet pro Platte nur wenige Euro. Drei aktive Pressen für Singles und Langspielplatten stehen derzeit in den Räumen von MY45. Deren unübersichtliche Kabel- und Schlauchanschlüsse führen in den Keller, wo zahlreiche Kompressoren vor sich hinsurren und den benötigten Dampfdruck erzeugen. Vieles hier ist von Gründer Andreas Bauer in mühevoller Kleinarbeit ausklamüsert worden. Die Maschinen aus den 70ern brauchen reichlich Zuwendung, arbeiten aber tadellos.
Das PVC-Granulat, das palettenweise in Säcken verpackt unter dem Vordach im Innenhof lagert, wird von den Pressen zu einem flachen Zylinder verdichtet und zwischen die beiden Schablonen für Vorder- und Rückseite gefördert.
Mit der Kraft von bis zu 150 Tonnen wird das erhitzte Vinyl in Form gepresst und mit Kühlwasser auf 50 Grad abgekühlt. Mindestens zwölf Stunden sollten die gestapelten Platten jetzt ruhen, bevor sie nach entsprechender Prüfung in ihre Hüllen gegeben werden, die MY45 nicht selber, sondern in Zusammenarbeit mit Druckereien aus der Umgebung anfertigt. 2.500 Schallplatten verlassen täglich fertig verpackt das Gelände – um bei Plattenfirmen und Bands weltweit zu landen.
Mundpropaganda verschafft sogar Aufträge aus Finnland
"Wie kommen die auf uns?", wundert sich Sudau, als eine finnische Metal-Band MY45 mit der Pressung ihres Albums beauftragen. Nach erfolgreichem Abschluss des Auftrags trudeln weitere Bestellungen aus Finnland ein. Die Erklärung ist einfach: MY45 liefern gute Arbeit zu realistischen Preisen, so etwas spricht sich herum. Da überrascht es kaum, dass Sudau kein Geld für Werbung auszugeben braucht. Trotzdem sei es ein weiter Weg gewesen, bis man "angelangt war, wo man hinwollte".
Dabei lege man Wert auf eine ökologische Arbeitsweise und baue auf Ökostrom und schwefelarmes Heizöl. "Wenn sich die Frage stellt: Qualität oder Preis? Dann ist die Antwort immer Qualität." Ihren hohen Standard wollen die Tiefenbacher halten, indem sie die Lieferzeiten von "eh schon schnellen" zehn bis zwölf Wochen weiter verkürzen. Drei zusätzliche Pressen stehen bereits ungenutzt und nicht verkabelt im Werk, in absehbarer Zeit werden auch sie ihren Dienst aufnehmen. Konnte man Vinylpressen zur Hochzeit der CD fast zum Schrottwert erwerben, kostet eine nicht restaurierte Maschine aus den 70er Jahren mittlerweile 40.000 Euro.
Solche Summen wecken natürlich Begehrlichkeiten – auch bei den großen Plattenfirmen, die damals ihre Presswerke eingestampft haben und jetzt wieder ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Während andere Werke dem Ruf der Branchenriesen folgen und für sie produzieren, wollen Bauer und Sudau mit MY45 den kleinen Bands treu bleiben: "Wer ist schon Warner Brothers?"
Am 23. Juni veranstaltet das Schallplattenpresswerk MY45 in Tiefenbach, Hauptstraße 30, einen Tag der offenen Tür. Von 10 bis 18 Uhr wird am Samstag das Presswerk in Betrieb sein, es gibt Livemusik und eine Plattenbörse. Eintritt frei.
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