Interview

Interview mit einer Buchhändlerin: "Gelesene Bücher sollten weiter wandern"

Ein Gespräch über Lesen, Autoren und die Schönheit der Sprache mit Franziska Schäfer, die 20 Jahre lang Chefin der Buchhandlung Pustet war.
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Franziska Schäfer: "Ein Buch ist eine aktive Tätigkeit, da muss ich mich anstrengen und mitdenken."
Franziska Schäfer: "Ein Buch ist eine aktive Tätigkeit, da muss ich mich anstrengen und mitdenken." © Christine Vincon

AZ: Sie waren seit September 2001 Chefin bei Pustet in Landshut: Wie viele Bücher haben Sie in dieser Zeit wahrscheinlich gelesen?
FRANZISKA SCHÄFER: Ich sage mal im Schnitt drei Bücher in der Woche. Wir lesen ja viele Neuerscheinungen, es sind etliche Bücherregale voll.

Und was waren Ihre Lieblinge? Krimis? Romanzen?
Ich lese gerne moderne Romane, zum Beispiel Arno Geiger, Peter Stamm oder Iris Wolff. Solche, die mit ihrem reduzierten Stil viel aussagen. Ich habe sicher noch ein halbes Bücherregal, das ich lesen will.

"Wenn mir ein Buch nach spätestens 30 Seiten nicht gefällt, höre ich auf"

Aber in einem Buchhändlerleben kommt ja notgedrungen auch mal was anderes an Literatur daher. Mussten Sie sich durch solche Bücher quälen?
Das habe ich nie gemacht. Wenn mir ein Buch nach spätestens 30 Seiten nicht gefällt, höre ich auf. Ich gebe ihm eine Chance - aber dann höre ich auf.

Wann ist für Sie ein Buch gut - und wann ist es schlecht?
Bei Romanen muss es eine gute Sprache haben, die Geschichte muss mich fesseln. Ich mag nicht die 20. Paarbeziehung erzählt bekommen. Ich lese zum Beispiel gern Biografien.

Welche fanden Sie da am spannendsten?
Gerade lese ich eine über die Freundschaft zwischen Rilke und Rhodin. Aber auch die von Hape Kerkeling und Adele Neuhauser sind sehr gut. Oder die von Max Schmeling, obwohl Boxen gar nicht meins ist. Es gibt so viele unterschiedliche Menschen. Das finde ich spannend.

Schäfer lud viele Gäste in die Buchhandlung ein

Weil wir gerade bei Menschen und Lebensgeschichten sind: Sie haben viele Menschen und Autoren in die Buchhandlung eingeladen. Welche Begegnung war für Sie die beeindruckendste?
Das ist eine schwierige Frage. Hape Kerkeling war sehr interessant und Roger Willemsen. Mittlerweile gehen die Autoren auch in die kleineren Städte, weil da die Begeisterung so groß ist.

Was liest denn der Landshuter gerne?
Es gibt hier sehr viele Leser, wir sind eine Lesestadt. Vor 15 Jahren waren historische Romane noch ein großes Thema. Mittelalter und Co. - das ist jetzt eher zurückgegangen. Heimatkrimis boomen seit Rita Falk, dieser Trend ist ungebrochen. Auch andere Krimis laufen sehr gut, die verkaufen wir genau so gut wie Romane. Was bemerkenswert ist: Krimis werden mehr von Frauen gelesen. Da könnte man sich jetzt fragen, was da dahintersteckt. Solche Dinge finde ich interessant.

Wenn Sie jetzt dann im Ruhestand sind: Werden Sie noch lesen?
Ich werde schon noch lesen, aber wohl viel anderes machen.

Ziele der Buchhändlerin im Ruhestand

Und was haben Sie vor?
Ich habe mir vorgenommen, Französisch zu lernen, weil ich sehr gerne nach Frankreich fahre und die Franzosen gern mag. Ich hätte auch gerne einen Hund, bis jetzt ging das einfach nicht. Außerdem habe ich zwei kleine Enkelkinder, die sich schon auf mehr Zeit mit mir freuen. Die haben "Hurra" geschrien, als ich ihnen erzählt habe, dass ich in Rente gehe. Und natürlich spekuliere ich auf eine Abschiedsparty mit meinen Kollegen, wenn es denn mal wieder geht. Ich weiß schon was mit mir anzufangen. Vielleicht mache ich aber auch ganz andere Dinge, als die, die ich jetzt so im Kopf habe.

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Jetzt, wo sie im Ruhestand sind: Was macht denn eine Buchhändlerin mit Büchern, die sie schon gelesen hat? Bleiben die bei Ihnen?
Die meisten wandern weiter, seit zehn bis 15 Jahren. Ich lese sie und gebe sie weiter, lege sie in eine öffentliche Büchertelefonzelle oder gebe sie in einem Sozialkaufhaus ab. Gelesene Bücher sollten weiter wandern, wenn sie mal gelesen wurden. Ich hebe nur Bücher auf, die ich besonders toll finde.

Welches Buch haben Sie denn mehrfach gelesen?
Gar keins, weil einfach so viel Neues kommt. Ich habe mir das vorgenommen; aber es ist nie passiert.

85.000 Neuerscheinungen gibt es jedes Jahr auf dem Buchmarkt

Wenn wir über diese Flut an Büchern sprechen: Haben Sie sich manchmal gedacht - wer soll das alles noch lesen?
Gerade wird es am Buchmarkt sowieso weniger, vor sechs, sieben Jahren waren wir bei 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr. Die Tendenz geht gerade nach unten, weil die Verlage selber gemerkt haben, dass es zu viel wird. Es sind aber immer noch 85.000 im Jahr. Gerade spielt Politik, Geschichte und Philosophie eine große Rolle. Das finde ich bemerkenswert.

Haben Sie dafür eine Erklärung?
Es hat vielleicht damit zu tun, dass mehr Menschen aus der Kirche austreten und trotzdem auf Sinnsuche sind.

Gedruckte Bücher werden also nach wie vor gekauft ?
Ja, die Leute mögen vielleicht E-Books lesen, aber die Menschen lieben nach wie vor das haptische Erlebnis. Sie wollen einfach mal nicht auf einen Bildschirm schauen, sondern auf bedrucktes Papier. Das ist eine andere Erfahrung, auch für das Gehirn.

Gerade im Lockdown kaufen jetzt wieder viele mehr Bücher auf Vorrat

Haben Sie durch den Lockdown bemerkt, dass die Menschen wieder mehr Bücher aus Papier wollen?
Ja - und vor allem kaufen sie jetzt wieder mehr auf Vorrat, das wurde in den letzten Jahren immer weniger. Auch bei Kinder- und Jugendbüchern. Da gibt es überhaupt keine Einbrüche, die Eltern legen unglaublichen Wert darauf, dass ihre Jüngsten Bücher haben.

Sie machen sich also keine Sorgen um die Zukunft der Leser?
Ich mache mir Sorgen, weil die Leserschaft weniger wird. Es lesen prozentual immer weniger Menschen Bücher. Vor 20 Jahren waren es um die 37 Prozent, die regelmäßig gelesen haben. Jetzt sind wir bei 25 Prozent.

Macht Sie das traurig?
Das macht mich schon traurig, weil der Wert von Literatur nicht mehr so gesehen wird. Aber was interessant ist: Die Menschen, die lesen, lesen mehr.

Leserverlust liegt laut Buchhändlerin an der Konkurrenz

An was liegt der Leserverlust Ihrer Meinung nach?
Es gibt einfach zu viel Konkurrenz: Soziale Medien, Internet, Handy, Fernsehen, das spielt alles eine Rolle. Ein Buch ist eine aktive Tätigkeit, da muss ich mich anstrengen und mitdenken. Da kämpft das Buch schon. Aber jetzt in Lockdownzeiten entdecken die Leute wieder das Lesen. Das gibt mir Hoffnung. Zwar sind die geschlossenen Läden ein Drama, aber wenigstens kommt das Lesen wieder in Aufschwung.

Bei Ihnen auch?
Ich freue mich jetzt darauf, dass ich mal einen ganzen Tag lesen kann, mich in eine Geschichte vertiefen kann. Dafür hatte ich bisher wenig Zeit. Auch im Urlaub habe ich sehr wenig gelesen, da wollte ich bisher etwas anderes machen.

Was werden Sie in Zukunft vermissen?
Kundengespräche, in denen man sich gegenseitig Bücher empfiehlt.

40 Jahren als Buchhändlerin: Kunden haben sich verändert

Werden Sie auch weiter auf der Straße Buchtipps geben?
Ich hoffe es, man kann auch bei mir bestellen und ich gebe es dann im Laden weiter (lacht). Ich kann ja wahrscheinlich gar nicht anders, ich bin 40 Jahre Buchhändlerin gewesen.

Was hat sich denn in diesen 40 Jahren in Ihrer Branche am meisten verändert?
Die Kunden haben sich verändert. Sie kennen sich viel besser aus, sind selbstbewusster. Was mich ein wenig verwundert, ist dieser Optimierungswahnsinn: höher, schneller, weiter. Aber mehr Optimierung geht ja irgendwie nicht mehr. Ich bin einfach eher fürs chaotisch-kreative Arbeiten, das liegt mir näher. Das ist produktiver. To-do-Listen sind mir ein Graus.

Buchempfehlungen vom Experten

Wenn Sie jetzt dann zu Hause lesen: Wie lesen Sie? Lümmelnd auf der Couch?
Seit fünf Jahren ungefähr lese ich am Tisch, das Buch vor mir liegend. Nicht, weil das Buch schwer ist, sondern die Haltung für mich angenehmer ist. Vorher war ich ein Lümmler, aber jetzt lese ich am Tisch. Im Bett schlafe ich beim Lesen nach ein paar Seiten sofort ein.

Für alle, die Sie so schnell nicht in der Altstadt treffen werden: Welche drei Bücher empfehlen Sie, die man in seinem Leben gelesen haben muss?
Da muss ich überlegen, das ist sehr schwer. Wahrscheinlich von Truman Capote "Die Grasharfe", von Benedict Wells "Vom Ende der Einsamkeit" und die Biografie von Adele Neuhauser, weil ich ein so großer Biografien-Fan bin. Und weil sie ein so spannendes Leben hat, so positiv ist und so viel ausprobiert hat. Dieser Mut beeindruckt mich.

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