Kritik wird weggelächelt

Mit einem seltsamen Auftritt in Nürnberg begeistert und verstört der Dalai Lama die Franken. Das geistliche Oberhaupt der Tibeter rief vor rund 7000 Zuhörern erneut zum gewaltlosen Einsatz für Menschenrechte auf.
Waren das jetzt zehn oder elf Mercedes-Benz-Limousinen, die den Dalai Lama am Samstagnachmittag vom Nürnberger Rathausplatz zur Straße der Menschenrechte am Germanischen Nationalmuseum eskortierten? Man konnte sich verzählen, so atemberaubend das Tempo, mit dem der Konvoi durch die City heizte. Die tibetischen und deutschen Bodyguards guckten grimmig aus ihren Anzügen, Polizisten hielten die Massen im Zaum.
Der Trubel war nicht umsonst: Das Gastspiel des Dalai Lama sorgte bei seinen Fans für feuchte Augen. Seine Gegner jedoch protestierten lautstark gegen seinen Besuch. Und ganz nebenbei sorgte der Aufenthalt des Tibeters auch noch für politischen Krach. Den Dalai Lama schien es nicht zu kümmern: Er lächelte und winkte viel.
„Schlichtes Willkommen“
Es sei „eine Selbstverständlichkeit“, dem Lama auf Deutschland-Tour „mit Gastfreundschaft“ zu empfangen, sagte Nürnbergs OB Ulrich Maly. Das angemessene Aufgebot für den Dalai Lama hatte der Herr Oberbürgermeister dann aber doch bestellt: Sicherheitsstufe rot, allerlei politische und religiöse Würdenträger in Freude Erwartung, Menschenmassen hinter Absperrseilen und die tibetische neben der deutschen Fahne im Rathaussaal. Sieht so ein „schlichtes Willkommen“ (Maly) aus?
Klar: Wenn der Friedensnobelpreisträger von 1989 die Stadt der Menschenrechte beehrt, ist das ein prestigeträchtiger Besuch für die geläuterte Stadt der Rassengesetze und der Reichsparteitage. Der Bezug des Dalai Lama zu Nürnberg ist ganz sicher ein besonderer, aber wohl ein anderer, als der, den Maly und tausende Lama-Fans im Kopf hatten: Als „very attractive“ befand „Seine Heiligkeit“ die ersten Bilder der Stadt, die er als Kind zu sehen bekam, berichtete er freimütig im Rathaus. Darauf zu sehen: „Generäle und ihre Waffen“. Auf anderen „Adolf Hitler und Hermann Göring“. Maly und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) jedenfalls übergingen die unbedachten Äußerungen des Dalai Lama geflissentlich, ließen sich nach den Grußworten des Tibeters in weiße Gebetsschals einwickeln.
Jedoch wurden auch kritische Stimmen laut: „Der Typ weckt bei mir keine Emotionen“, sagte Grünen-Stadtrat Jürgen Wolff. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Burkert fordert zwar „Gerechtigkeit für die Tibeter“, erkennt aber: „Die Gegendemonstrationen sind Realität.“
Proteste
Während nämlich am Sonntagmorgen 7000 in der Nürnberger Arena der Kuschel-Rhetorik des Dalai Lama verfielen, protestierten draußen einige Hundert friedlich gegen den Religionsfürsten: neben einer Gruppe Rotchinesen auch eine größere lautstarke Gruppierung deutscher und tibetischer „Shugden“-Buddhisten. „Dalai Lama, hör’ auf zu lügen!“, riefen sie und protestierten gegen die Unterdrückung ihrer Sekte in Tibet und Nordindien durch die Gefolgsleute des Dalai Lama.
Der predigte in seiner Sonntagsrede die Harmonie zwischen den Religionen („Alle haben ein Ziel“), strikte Gewaltfreiheit („Sie bringt uns weltweite Solidarität“) sowie die Bedeutung innerer Werte. Auf die Missachtung der Menschenrechte in Tibet und das politische Hickhack um seinen Besuch in Deutschland ging er nicht ein. Und das, obwohl sein Auftritt den Slogan „Menschenrechte als Verpflichtung“ trug. Das Streiten überlässt er lieber anderen (siehe unten). Auch so kann man Politik betreiben.
Die Karteninhaber, die bis zu 85 Euro pro Ticket zahlten, waren trotzdem zu Tränen gerührt. Für die Demonstranten hatten viele nur Verachtung über: „Hört auf, zu provozieren!“ Doch das bekam der Dalai Lama gar nicht mehr mit: Nach der Vorstellung ging’s rein in die Limousine – und ab zum nächsten Tourstopp.
Steffen Windschall