Kritik an Hubert Aiwanger nach Polterattacke: "Unwürdiger stellvertretender Ministerpräsident"

München/Spessart - Eigentlich ist Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger ein großer Freund des "ländlichen Raums". Nur ausgerechnet im lieblichen Spessart kamen am vergangenen Wochenende Aiwangers Worte nicht gut an.
Schon lange Streit im Spessart
In Unterfranken soll möglicherweise ein Biosphärenreservat nach Kriterien der UNESCO entstehen. Eine jüngst abgeschlossene Machbarkeitsstudie kam zu dem Ergebnis, dass die Projektregion "gute Voraussetzungen für eine Auszeichnung als UNESCO-Biosphärenregion" biete.
In solchen Modellregionen steht nicht nur Naturschutz im Vordergrund, sondern es geht um eine nachhaltige Entwicklung einer Kulturlandschaft gemeinsam mit den Bürgern. Genau das wird im Spessart derzeit gemacht: Denn jahrelange führte der Streit um einen Nationalpark im Spessart für verhärtete Fronten. 28 Gemeinden haben sich bereits dafür ausgesprochen, zehn dagegen. Bei knapp 40 Gemeinden steht die Entscheidung noch an.
"Mörder der Eichenbestände"
Wie bedacht die Kommunen im Spessart vorgehen, ging offenbar bislang an Aiwanger vorbei. Bei einer Waldbegehung im Forstbetrieb Rothenbuch der Bayerischen Staatsforsten am Wochenende polterte Aiwanger über die Pläne als "Schnapsidee" und "Mörder der Eichenbestände". Auf X klingt Aiwanger sachlicher: "Naturpark Spessart statt Biosphärenreservat. Wir können die Spessartforstrechte der Bürger nicht ignorieren." Große unbewirtschaftete "Kernzonen" brächten Risiken, etwa durch Schädlingsbefall oder absterbende Wälder.
Rote Karte für Aiwanger
Der Bund Naturschutz (BN) lässt das nicht so stehen. In einem offenen Brief heißt es, Aiwanger habe Kommunalpolitikern und Verbandsvertretern "Dummheit und Naivität" attestiert. "Dies ist eines stellvertretenden Ministerpräsidenten unwürdig." Der Bund Naturschund zeigt Aiwanger die Rote Karte, weil er denen, die Demokratie leben, brutal in die Beine grätsche. "Verstehen Sie endlich, dass in einer Biosphärenregion der Mensch im Mittelpunkt steht?", so der BN. Aiwanger solle damit aufhören zu spalten und der Würde seines Amts gerecht werden.
"Einfach mal die Fakten zur Kenntnis nehmen"
Auf AZ-Anfrage schreibt Aiwanger, der BN müsse "einfach mal die Fakten zur Kenntnis nehmen". Aiwanger, dem Parteifreunde ein fotografisches Gedächtnis attestieren, schickt eine Argumentation, die über mehrere Seiten geht.
Die wertvollen Eichenwälder seien gefährdet und nicht mehr nutzbar, wenn sie Teil der Kernzone würden. Es gehe um "Holzwerte von mehreren hundert Millionen Euro, die nicht mehr genutzt werden dürfen". Für die Bayerischen Staatsforsten, deren Aufsichtsratschef Aiwanger ist, sei das nicht zumutbar – bislang hätten die Kommunen zu wenige Beiträge von Flächen über 50 Hektar beigetragen. Zu seinem Ton und seiner Wortwahl äußert sich Aiwanger auf Nachfrage nicht.
Keine Rüge im Kabinett
Nach AZ-Informationen war der Eklat im Spessart nicht Teil der Kabinettssitzung. Auf AZ-Anfrage teilt Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) mit, dass sie Aiwangers Wortwahl "alles andere als hilfreich" findet, zumal sie an der Realität vorbeigingen – der Prozess werde derzeit sachlich und demokratisch vor Ort geführt. "Scharfe Äußerungen helfen im Spessart keinem weiter." Kaniber sagt aber auch, dass das Projekt an der Bereitschaft der Kommunen hänge, Flächen für die Kernzone bereitzustellen.
FW-Kollege und Umweltminister Thorsten Glauber sagt der AZ, dass die beiden bestehenden Biosphärenreservate in Bayern Erfolgsprojekte seien (Rhön und Berchtesgaden, Anm. d. Red). "Ob ein Biosphärenreservat in den Spessart kommt, entscheiden die Landkreise und Gemeinden", sagt Glauber. Sein Ministerium stehe der Region "seit Jahren mit Rat und Tat zur Seite". Es gelte Tourismus, Regionalentwicklung und Naturschutz in Einklang zu bringen.
Glaubers Ministerium hat das Biosphären-Gutachten mitfinanziert. Zur Wortwahl und dem Ton Aiwangers äußert sich Glauber nicht.