Kopfsprung in die Kultur
SCHWEINFURT - Schweinfurt schärft ab Donnerstag mit einer neuen Kunsthalle sein Profil.
In Nürnberg wird zur Zeit die „Jugendstilperle“ des verwaisten Volksbades wieder mal wie eine heiße Kartoffel vom Kämmerer herumgereicht (eine Wirtschaftskrise triumphiert eben immer über Stadtentwicklung mit Zufallscharakter). Das unterfränkische Schweinfurt, mit seinen 53000 Einwohnern abgebrüht im Umgang mit Steuer- und Arbeitsplatzverlusten, hat sich da schon eine ziemlich mutige Lösung für eine denkmalgeschützte Altlast zurecht saniert. Ab Donnerstag soll man dort in Kunst schwimmen: Für 14 Millionen Euro wurde das Ernst-Sachs-Bad zur städtischen Kunsthalle mit 2000 Quadratmetern Nutzfläche umgebaut.
„Extrem emotional belastet“ ist dieses 1930 von „Motor-Sachs“ gestiftete Bad nach Aussage von Erich Schneider, dem Leiter der städtischen Museen. Denn in der sachlichen Anlage mit dem Kloster-Grundriss (samt viereckigem Innenhof) lernten alle Schweinfurter schwimmen. Aber weil sich das marode Gebäude, in dem man 2004 Badeschluss war, von der Anlage und Statik her sich weder für eine Volkshochschule noch als Industriemuseum eignete, setzte die Politik ziemlich entschlossen die Kunsthallen-Lösung durch: Die EU zahlte fünf Millionen, der Freistaat eine, den Rest Stadt und Bezirk.
Unterfränkische Harmonie aus „Industrie und Kunst“
Auch in der Krise müsse man investieren, sagt Gudrun Grieser, Oberbürgermeisterin einer schuldenfreien Stadt, die sich in der Boomphase ein Speckpolster aus 90 Millionen Gewerbesteuer pro Jahr zugelegt hat. Von Schweinfurts Harmonie aus „Industrie und Kunst“ künden schon Schilder an der Autobahn. Die Kunsthalle soll nach Volker Staabs Museum Georg Schäfer (mit der konkurrenzlosen Spitzweg-Kollektion) und dem bibliophilen Museum Otto Schäfer das „Selbstbewusstsein“ einer grauen Industrie-Maus stärken. Bundesweit, mit Sonderbeilagen in „Handelsblatt“ und „Die Zeit“ zum Start des Kunst-Bades.
Die ehemalige Schwimmhalle als Schaltstelle für künftige Sonderausstellungen ist eine luftige Attraktion. Vorläufig fühlt sich der Nürnberger beim Rundgang durch die ehemaligen, zu Kunstkabinetten gewandelten Umkleidekabinen an eine zu große geratene „Fränkische Galerie“ erinnert. Koller und Dollhopf, Fred Ziegler und Winfried Baumann, Franz Vornberger und Udo Kaller, auch der Fotograf Oliver Boberg muss sich in dem drängelnden Gemischtbadetag der „Kunst nach 45“ behaupten, wo Rupprecht Geiger, Chris Nägeles Lichtskulpturen und Bettina Bätz Wandzeichnung aus Frauenhaar Hingucker sind. Völlig auf ein Konzept wird im neu geschaffenen Untergeschoss verzichtet, das den expressiven Realisten der Sammlung Hierling förmlich als Depot, nicht als Spannungsfeld (mit einem Stück Original-Festungsmauer) dient.
Erste Publikumswellen hat das Haus bereits geschlagen.
10.000 waren beim Trockenschwimmkurs vor zwei Wochen. „Das Baby ist in der Welt, jetzt muss es laufen lernen,“ sagt Schneider. Übers Wasser? Das wäre dann ein Wunder.
Andreas Radlmaier
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