Kloschüsseln zu Bonsai-Parks!

Feucht-fröhlicher Auftakt: Das Erlanger Performance-Festival „ARENA“ startet mit Hingucker-Aktionen, Volksliedern und einer bemerkenswerten Opern-Produktion.
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„Abgrund“ oder „Idylle“? Eine Geschmacksfrage, wie die ARENA-Eröffnungsparty im Erlanger Markgrafentheater bewies.
Thomas Gatzka „Abgrund“ oder „Idylle“? Eine Geschmacksfrage, wie die ARENA-Eröffnungsparty im Erlanger Markgrafentheater bewies.

NÜRNBERG - Feucht-fröhlicher Auftakt: Das Erlanger Performance-Festival „ARENA“ startet mit Hingucker-Aktionen, Volksliedern und einer bemerkenswerten Opern-Produktion.

Der „Abgrund“ schmeckt leicht bitter-würzig, spritzig auf der Zunge, die „Idylle“ hingegen fruchtig-süffig, mit schwerem Abgang. Bei der Eröffnungsfeier der „ARENA…der jungen Künste“, dem internationalen Performancefestival in Erlangen, gibt es keine seelenlosen Gin Tonics oder Wodka Lemons. In diesen Tagen ist hier alles „Idylle am Abgrund". Konsequent also, dass auch die Eröffnungspremiere mit echten, abgründigen Cocktail-Eigenkreationen begossen wird.

Einen entscheidenden Vorteil hat es nämlich, dass die Studenten ihr Festival mit großem Aufwand rein ehrenamtlich organisieren: Wenn jemand mithilft, dann um Teil des großen Ganzen sein. So schwebt, als die Studenten den sechstägigen Festival-Ausnahmezustand im Markgrafentheater offiziell einläuten, neben der Vorfreude aufs künstlerische Schaulaufen ein kollektiver Stolz im Raum, ein inzwischen deutschlandweit bekanntes Performance-Festival in Eigenverantwortung auf die Beine gestellt zu haben. Man hat zu viele Kopier-Praktika hinter sich: Wenn schon unbezahlt, dann als Chef.

So tobt sich jede ARENA-Abteilung kreativ aus: Die Eröffnungsreden unterbrechen kleine Werbespots, die das Festival dafür preisen, in Kloschüsseln endlich wieder Blumen wachsen zu lassen. Seit einiger Zeit schon irritieren blütenbewucherte Badewannen und Autowracks in Erlangens idyllischem Stadtbild an so prominenten Orten wie dem Schlossplatz, wo eine Zimmerpalme aus einer Motorhaube wächst. Den ARENA-Verweis gibt’s erst beim genauen Hinsehen.

Verstörend auch die Eröffnungsvorstellung im Markgrafentheater. Studierende der Berliner Hanns-Eisler-Musikhochschule haben Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ für eine Produktion der Neuköllner Oper zerschlagen und neu zur beklemmenden Familiengeschichte zusammengesetzt: Getriebene und Verängstigte sind Prinz Golaud, seine zerbrechliche Braut Mélisande und sein Halbbruder Pelléas. Videos der weinenden Sänger spiegeln ihre Seelenlandschaften; Akkordeon und E-Piano setzen dem begleitenden Klavier Leuchteffekte auf.

Für die Verlorenheit und Sehnsüchte findet Miriam Salevic packende Bilder: Mélisande drückt den eigenen Kopf unter Wasser, ringt spielerisch mit Golaud, der sich später wie ein Kind zwischen die Liebenden drängt. Zeitweise nerven akustische Überfrachtung und Requisitenexzesse. Aber das blutjunge Ensemble um die berückende Sopranistin Herdís Anna Jónasdottir singt und spielt atemberaubend — Musiktheater an Seelenabgründen.

Beim Parallel-Stück „Tollkühnes Singen" wird das Publikum von der Gruppe „vor dem theater“ mit Bier, Brezen und Jägerwurst verführt. Es braucht nicht mehr als ein paar gute alte deutsche Volkslieder zum Mitsingen, und binnen weniger Minuten ist die Nebenspielstätte Garage vom schmalzigen Gemeinschaftsgefühl durchtränkt — ob man nun will oder nicht. Welch Idylle (noch heute, 15.30 Uhr).

Die Bewährungsprobe des Eröffnungsabends hat das Freiwilligenteam gemeistert. Doch damit fängt alles erst an. Viele Studenten sind schon einige Jahre dabei, kennen die anfängliche Euphorie, vermeiden Anfängerfehler: Man hat den Festival-Arbeitstag nach der Party im Blick. „Abgrund" und „Idylle" werden zwar bereitwillig ausgeschenkt. Doch im Hinterkopf steckt schon der Gedanke an die nächsten Aufgabe, der nicht im Cocktail ertrinken darf. Bei 16 eingeladenen Künstlergruppen, mehreren Vorstellungen pro Tag und einem mehrteiligen Rahmenprogramm gibt es derer genug.

Matthias Weigel / Georg Kasch

Infos und Karten: ARENA

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