Kleine Beziehungsberater

NÜRNBERG - Motivationstrainer auf dem erleuchteten Pfad: Die Söhne Mannheims und Xavier Naidoo spendeten beim Nürnberger Konzert-Doppel Trost und Widerspruch.
Draußen fällt eine Ahnung von Sintflut vom nassen Nachthimmel, innen in der Nürnberger Arena erlebt man eine biblische Plage in beeindruckender Verpackung. Wo Krieg, Kälte und die Seuchen der Verzagtheit sind, ist Soulsorger Xavier Naidoo nicht weit. Der führende Krisengebietsleiter der Nation spendet nach dem bunten Abend mit dem Multi-Kulti-Kollektiv Die Söhne Mannheims – doppelt gemahnt hält besser – Trost und Ruck-Reden. Und siehe: Im Alleingang straft der Mannheimer alle Vorurteile Lügen. Der 36-jährige und seine mit allen Weihwassern gewaschene Großband sind zumindest musikalisch wesentlich stärker, authentischer und atmosphärischer. Und seinen Erweckungstrieb hält er im Zaum.
Nahezu 15000 wollten in Nürnberg dieses clevere Doppelpack-Konzept (den Live-Mitschnitt konnte man sofort auf USB-Stick kaufen) sehen. Erstaunlicherweise weniger Naidoo. Die Fans hielten die Söhne Mannheims wohl fürs kleinere Übel. Kleiner Irrtum. Unter dem riesigen LED-Globus, der dann auch bei Naidoo die Videoleinwand ersetzt und Projektionsfläche für Selbstbespiegelung ist, bleibt der Protest Behauptung, die Parole Plattitüde, die Musik ein Schmierstoffhandel des HipPop. Ersatzhandlungsreisende, die zum Schmusen und Springen auffordern müssen. Die geballte Faust wird zum Handauflegen genutzt, die „Weltrevolution“ trägt Fleece, Flausch und Folkoremuster, der leuchtende Pfad ist nur erleuchtet und fad.
Die wundersamen Jünger, ungefähr 14 an der Zahl, die dank Laufsteg über ein Meer aus Köpfen, Armen und Digital-Displays wandeln, gehen dahin, wo’s wehtut. Also zu Sinn und Verstand der Sprachreimleimerei. Dann offenbaren Naidoo, Henning Wehland und die anderen: „Das hat die Welt noch nicht gesehen. Trotzdem ist Liebe wunderschön, ist unsichtbar und trotzdem da. Freude und Leid das ganze Jahr, man nimmt das Leben sonst nicht wahr.“ Sie sagen, das gibt’s doch nicht? Bittesehr, die verlorenen Söhne haben noch „ganz ganz ganz viel Wut“ in der Latz- und Sackhose und singen „Babylon System“: „Nenn mich ruhig einen Staatsfeind/Denn ich weiß nicht, ob er es gut meint/Oh Mann, ich gönn’ ihm seine Auszeit/Damit die Steuerlast mal ausbleibt.“ Sagte schon Westerwelle.
„Mut zur Veränderung“ predigt auch Musterknabe Naidoo. Mit dem ersten Song den er noch vorm Vorhang spielt. 23 weitere (samt Soul-Schwester Cassandra Steen als Gast) folgen. Mit Klauben und Hoffen, mit Fronten und Horizonten, mit himmlischen Sphären und irdischem Begehren – das reinste Navi für einen Lebensweg, der angeblich in die Leichtigkeit führt, aber humorfrei und sisyphosschwer, also zutiefst christlich, erscheint.
„Alles kann besser werden“ weiß der Binsenweise aus dem Wohlstandsland. Und dass die Welt belogen werden will, Frauen besonders. Deshalb wirft er ihnen nach „Zeilen aus Gold“ hin: „Ich kenne nichts, das so schön ist wie du.“ Gelänge es, die Lyrik des kleinen Beziehungsberaters zu überhören, bliebe ein Sänger mit Facetten, Songschreiber mit Ideen, Tänzer mit Talent. Das Publikum jubelte auch so. Andreas Radlmaier