Klassenziel nicht erreicht: Wo das Bildungssystem unfair ist

Immer mehr Kinder gehen aufs Gymnasium, aber nicht überall in Oberbayern. Jeder zehnte Schüler in Bayern könnte auf eine höhere Schule wechseln – und macht es nicht. Die Eltern sind sauer
von  Abendzeitung
Leere Klassenzimmer: Jeder zehnte Schüler in Bayern könnte auf eine höhere Schule wechseln – und macht es nicht.
Leere Klassenzimmer: Jeder zehnte Schüler in Bayern könnte auf eine höhere Schule wechseln – und macht es nicht. © AP

Immer mehr Kinder gehen aufs Gymnasium, aber nicht überall in Oberbayern. Jeder zehnte Schüler in Bayern könnte auf eine höhere Schule wechseln – und macht es nicht. Die Eltern sind sauer

Die Unterschiede sind drastisch: Während in Starnberg mehr als jeder zweite Schüler nach der vierten Klasse aufs Gymnasium übertritt, ist es im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm nicht mal jeder dritte.

Das geht aus dem Bildungsbericht 2009 hervor, den das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung veröffentlicht hat. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum von 2004 bis 2007.

Woher kommen so krasse regionale Unterschiede? Ein Zusammenhang fällt dabei ins Auge: Eltern in reicheren Landkreisen schicken ihre Kinder häufiger auf höhere Schularten. Ein Starnberger hat im Schnitt 28764 Euro pro Jahr zum Konsumieren und Sparen zur Verfügung, ein Pfaffenhofener hat 9022 Euro weniger.

Laut Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) wollen vor allem Akademiker-Eltern ihre Kinder unbedingt aufs Gymnasium schicken.

Auch zwischen Stadt und Land gibt es ein großes Gefälle. In Städten ist die Angst vor dem sozialen Brennpunkt Hauptschule größer. Auf dem Land gehen die Kinder eher auf die Hauptschule, wenn sie sonst weite Busstrecken zurücklegen müssten.

Es gibt auch gute Nachrichten: Die Zahl der Schüler, die aufs Gymnasium übertraten, ist um 2,5 Prozent gestiegen, auch die Realschulen verzeichneten einen Übertritts-Anstieg um 1,5 Prozent.

Trotzdem treten noch längst nicht alle Schüler auf die höchstmögliche Schulart über. Spaenle sagte der AZ, dass jedes zehnte Kind nicht auf eine höhere Schule geht, obwohl es den Übertrittsschnitt von 2,33 für das Gymnasium oder von 2,66 für die Realschule erreicht. Die Opposition erklärt das Phänomen so: „Die CSU hat die Gymnasien durch die Einführung des G8 in Turbo-Schulen umfunktioniert. Viele Eltern wollen ihre Kinder nicht diesem Stress und Leistungsdruck aussetzen“, sagt Hans-Ulrich Pfaffmann, der bildungspolitische Sprecher der SPD im Landtag.

Zum kommenden Schuljahr gibt es bereits in der dritten Klasse Beratungsgespräche für Eltern. Ebenso beraten in der fünften Klasse Lehrer und Eltern darüber, ob die gewählte Schulart die richtige für das Kind ist. Schüler, deren Leistungen besonders gut oder schlecht sind, bekommen Förderunterricht. Mehrere hundert Schulweghelfer sind in den fünften Klassen eingesetzt – Grundschullehrer, die sich in Teilzeit um die Schüler kümmern. Bereits jetzt können Eltern ihr Kind, das den erforderlichen Schnitt nicht erreicht hat, zu einem dreitägigen Probeunterricht in die Realschule oder das Gymnasium schicken. Ab nächstem Schuljahr können Eltern ihre Kinder, die den Probeunterricht nur mit Note vier abschließen, trotzdem auf die gewünschte Schulart schicken. Das war bisher anders.

Doch die Maßnahmen sind umstritten: „Ein Schulweghelfer ist mir noch nie begegnet“, meint Heike Hein, Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes. „Außerdem bewirken die Maßnahmen lediglich, dass die Eltern jetzt schon in der dritten Klasse in Panik versetzt werden.“ Der Übertritt sei immer noch an eine schulische Bewertung gekoppelt. „Wir wünschen uns freie Schulwahl für die Eltern“, fordert Hein.

Klaus Wenzel, Präsident des bayerischen Lehrerverbands, unterstützt die Kritik: „Die PISA-Angst ist durch die Wirtschaftskrise noch mal befeuert worden“, sagt er. „Ich verstehe die Eltern sehr gut, die ihren Kindern einen Schulabschluss ermöglichen wollen, mit dem sie sowohl eine kaufmännische Ausbildung machen, also auch Jura studieren können.“

Johanna Jauernig

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