Kissinger vor Gericht

NÜRNBERG - Die Kunsthalle Nürnberg macht sich mit der sehenswerten Entdecker-Schau „El Dorado“ an das „Versprechen der Menschenrechte“ und Utopien.
Beim ersten Blick ins sagenhafte Goldland sieht man schwarz: Da wird Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger, dem Vorzeige-Fürther mit der zweifelhaften amerikanischen Capitol-Karriere, der Prozess gemacht. Die österreichische Künstlerin Eva Grubinger hat im Eingangsraum der Nürnberger Kunsthalle eine minimalistische Strafgerichtskulisse als stumme, schwarze Skulptur gestellt, wo der Gerichtshammer auf der Anklagebank ruht. „The Trial of Henry Kissinger“ nennt sie die vorwurfs- und eindrucksvolle Arbeit über eine „interessante Figur“, die als Jude selbst NS-Opfer war und als US-Außenminister „viel Dreck am Stecken“ hatte. Es kommt eben immer auf den Standpunkt an. Das fächern die 20 Positionen in der von Harriet Zilch konzipierten Gruppenschau „El Dorado“, die „Über das Versprechen der Menschenrechte“ handelt, vielschichtig und -farbig auf.
Die Entdecker-Schau mit Fotos, Videos und Installationen bildet im KuKuQ den Auftakt zu einer ganzen Veranstaltungsstafette zum Nürnberger Menschenrechtspreis, der am 4. Oktober an den iranischen Oppositionellen Abdolfattah Soltani verliehen wird. „El Dorado“ ist Ersatz-Sehnsuchtsziel, nachdem „Paradies“ und „Utopie“ nach Ansicht von Kunsthallen-Chefin Ellen Seifermann als Ausstellungstitel „ausgelutscht“ sind. Der Mythos „Dorado“, Symbol für blutige Goldgier spanischer Eroberer, wird hier freihändig um- und gleichgesetzt mit der Jagd nach Glück, Freiheiten und Vertrauen.
Da geht es auch um Selbstmord und Totschlag (wenn eine detonierende Puppe auf religiös motivierte Bomben auf zwei Beinen verweist), aber einen Amnesty-International-Jahresbericht wollte Zilch nicht illustrieren. Also finden sich überwiegend subtilere Ausgrenzungen und Illusionszerstörungen. Jens Pecho etwa hat Schwulenfeindliches aus HipHop und Death Metal zum Endlos-Fäkal-Sprech verbunden, die Straßburgerin Mathilde ter Heijne lässt eine Doppelgängerin singen, dass die Übernachtung von sechs Personen in einer WG an Menschenrechtsverletzung grenzt. Und die Künstlergruppe U.R.A Filoart präsentiert einen LED-Ring, der unsichtbar macht gegenüber öffentlichen Überwachungskameras.
Im krassen Schnitt werden Wirklichkeiten und Wahrheiten kurzerhand zurechtmontiert. Nach dem Video von Korpys/Löffler, wo bei der Gorleben-Demo nach Polizeihubschraubern unversehens auch Schmetterlinge durch die grüne Idylle flattern, wird man Fernsehbildern verstärkt misstrauen. Die Fotografin Martha Rosler kombiniert in ihren Collagen Schöner Wohnen und Schützengräben, Abendkleid und Panzerfaust als zynisches Alltagstheater, der Fürther Oliver Boberg, Spezialist für alptraumhafte Unorte, modelliert nun Slums zum Foto-Motiv. Und der Spanier Dionisio Gonzáles, mit Großformaten voll paradiesischer Heiterkeit vertreten, implantiert der brasilianischen Favela mit hereingeschmuggelter Zukunftsarchitektur gleich ein verblüffendes Statement gegen das Plattmachen.
Ästhetisch reizvoll schon zu Beginn die Papierschiffchen-Flotte des Peruaners Jota Castro. Die Arbeit im Projektraum trägt den Namen der Columbus-Schiffe Nina, Pinta und Santa Maria, will aber auch auf Flucht und Vertreibung hinweisen. Eindeutigkeit ist manchmal auch Utopie.
Wie ein Prozess gegen Henry Kissinger und amerikanische Menschenrechtsverletzungen. Die USA haben den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bis heute nicht ratifiziert. Andreas Radlmaier
Kunsthalle (Lorenzer Str. 32): Eröffnung 16. September, 20 Uhr; bis 15. November, Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Das gelungene Begleitbuch kostet 25 Euro.