Interview

Kini-Verehrer Gauweiler: Sisis Fluchtplan scheiterte

Heute wäre der 175. Geburtstag von Märchenkönig Ludwig II. – die AZ spricht deshalb mit dem "Kini"-Experten Peter Gauweiler.
Hüseyin Ince
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Bezeichnet sich als Ludwig-"Aficionado": Peter Gauweiler.
Bernd Wackerbauer Bezeichnet sich als Ludwig-"Aficionado": Peter Gauweiler.

München - Er versammelt bis heute die ganze Welt in Bayern: Ludwig II. investierte all sein Geld in bayerische Schlösser und in Kunst. Als Märchenkönig wurde er berühmt. Sein Tod am Starnberger See mit nur 41 Jahren ist und bleibt mysteriös. Ein Gespräch mit CSU-Urgestein Peter Gauweiler in dessen Anwaltskanzlei am Lenbachplatz über Kunst, Weitsicht und über die Neigungen des "Kini". Gauweiler nennt sich einen "Ludwig-Aficionado".

AZ: Herr Gauweiler, Deutsche-Eiche-Chef Dietmar Holzapfel möchte eine Kini-Statue auf der Corneliusbrücke bauen lassen. Wie finden Sie das?
PETER GAUWEILER: Das ist eine gute Idee. Ein solches Denkmal wird niemand umstürzen wollen, da bin ich mir sicher. Die wahren Denkmäler dieses Königs stehen ja schon lange.

Sie meinen all die Architektur?
Ja, die Schlösser natürlich. Fragen Sie sich selbst: Welche politische Figur aus dem 19. Jahrhundert können Sie namentlich nennen, die unser Bayern weltweit historisch und politisch positiv geprägt hat?

Da kommt man an dem Märchenkönig nicht vorbei.
Sogar Walt Disney ließ sich von Ludwig II. inspirieren, von Neuschwanstein – und übrigens auch Andy Warhol.

"Ich glaube, seine Homosexualität spielte keine so große Rolle"

Ludwig träumte auch davon, auf einem Pfau über den Alpsee zu schweben. War das zu viel Fantasie für sein Umfeld?
Vermutlich ja. Eigentlich war er ein großer Förderer der Technologie und von allem Neuen. Er begründete die Technische Universität München, ließ das erste Elektrizitätswerk Bayerns bauen – er genierte sich aber nicht, das mit der Beleuchtung einer Grotte in Linderhof zu begründen. Bayern im Mittelpunkt der Fantasie! Zur Geschichte mit dem Alpsee: Es sollte eine Seilbahn sein, mit einer Gondel in Form eines Pfaus. Aber die Regierungsleute hörten natürlich nur "auf einem Pfau über den Alpsee" und tuschelten: "Jetzt spinnt er völlig!" Ihm war das egal.

Was denken Sie?
Dieser sogenannte Spinner war ein Visionär.

Dann hatte Ludwig II. neudeutsch gesagt ein Kommunikationsproblem?
Er hätte sich der politischen Klasse besser erklären können. Das war nicht seine Stärke.

Welche Rolle spielte seine mutmaßliche Homosexualität in der ganzen Geschichte?
Ich glaube keine so große. Natürlich war es eine Sünde – wie eine außereheliche Beziehung eine Sünde war. Aber die Tabuisierung und Instrumentalisierung dieser Seite der Geschichte gab es erst später.

Am Geburtstag des Kini müssen wir auch über seinen Todestag sprechen, den 13. Juni 1886 im Starnberger See.
Das lässt sich kaum vermeiden.

Sie haben mal gesagt, dass es eigentlich keine Rolle spielt, wie er gestorben ist.
Ob ein selbstmordgefährdeter Mensch von staatlichen Administratoren durch offen ungesetzliche Methoden in den Tod getrieben wurde oder ob er real einen Fangschuss bekommen hat, macht von der sittlichen Wertung her als Staatsverbrechen keinen großen Unterschied. Auf der einen Seite sind die Spekulationen über die Todesursache. Auf der anderen Seite steht die gesicherte Erkenntnis, dass Ludwigs Minister in den Wochen vor seinem Tod alle möglichen Gesetze zu seinen Lasten gebrochen oder verletzt haben. Was die historischen Untersuchungen dieser beiden letzten Abschnitte seines Lebens angeht, gibt es eine merkwürdige Asymmetrie.

Wie meinen Sie das?
Es gibt so viele Erörterungen, wie er gestorben sein könnte: Selbstmord, ertrunken, erschossen, hat er seinen Arzt umgebracht oder er ihn? Ohne den unverfrorenen Rechtsbruch und ohne den Hochverrat der Minister wäre es nie zu der ausweglosen Situation am Starnberger See gekommen.

In welcher Lage war Ludwig II.?
Er wurde ohne Gerichtsurteil in zwei Zimmer von Schloss Berg gesperrt, abgeschraubte Türklinken, vergitterte Fenster, Gucklöcher in der Tür. Ohne jede Aussicht, wieder in Freiheit zu gelangen. Gleichzeitig wussten alle in der Regierung von der Selbstmordgefährdung Ludwigs. Und er wusste, dass er von jedem gesetzlichen Schutz abgeschnitten war. Die treibende Kraft hinter allem war Ministerpräsident Lutz, ein Mann Berlins, der seinerseits befürchtete, dass ihn die antipreußische Opposition stürzen könnte.

Das psychologische Gutachten, wonach er für quasi unzurechnungsfähig erklärt wurde?
Das über Nacht geschriebene Gutachten wurde gegen alle schon damals geltenden Regeln der Forensik verfasst. Sein Inhalt war mit Lutz abgestimmt. Lutz hatte dafür gesorgt, dass Zeugenaussagen nicht verwendet wurden, die den König entlastet hätten. Gleichzeitig hatte die Regierung Lutz die Gesetze für Entmündigungsverfahren und den Rechtsschutz Ludwigs außer Kraft gesetzt. Dieser Schutz wäre auch in den Wittelsbacher Hausgesetzen geregelt gewesen.

Und all das hat lange Zeit keinen interessiert?
Merkwürdigerweise waren all diese unerhörten Vorgänge in der bayerischen Rechtsgeschichte über Generationen hinweg kein Thema. Alle haben nur über die unmittelbare Todesursache im Wasser des Starnberger Sees gerätselt.

Ein bisserl müssen wir jetzt auch rätseln. Sie durften vor einigen Jahren der Öffentlichkeit einen Brief vorstellen, den letzten Brief von Ludwig II.
Das war ein verzweifelter Hilferuf an Prinz Ludwig Ferdinand, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Der König brachte seine Fassungslosigkeit zu Papier, über das, was da gerade vorging. Er sprach offen von Staatsstreich.

"Wie er gestorben ist, bleibt ein großes Geheimnis"

Welche Bedeutung hat der Brief Ihrer Meinung nach?
Der Brief belegt, dass Ludwig II. sich wenige Tage vor seinem Tod über seine Lage in jeder Weise bewusst und in keiner Weise paranoid war, völlig klar denken und sich entsprechend ausdrücken konnte.

Und wie starb er nun?
Das bleibt das große Geheimnis derer, die dabei waren. So, wie die offizielle Darstellung lautete, kann es nicht gewesen sein.

Nämlich?
Ein Todeskampf zweier Menschen bei völliger Stille, gut einsehbar, an einem Uferstrand von weniger als einem Kilometer Länge, wo mehrere Gendarmen positioniert waren. Das alles zwar bei Regen, aber am 13. Juni, einem der längsten Tage des Jahres, noch vor 19 Uhr. Alle, die vor Ort gewesen waren oder hätten sein müssen, gaben an, nichts bemerkt zu haben.

Und warum ging er in Richtung Wasser, was glauben Sie?
Ludwig II. soll ein hervorragender Schwimmer gewesen sein. Er ist regelmäßig quer durch den Alpsee geschwommen, neben seinem Schloss Neuschwanstein. Die Ludwig-Historie sagt, dass bayerische Verwandte der österreichischen Kaiserin Elisabeth am Abend des 13. Juni in einem Kahn in der Mitte des Sees auf Ludwig warteten. Wahrscheinlich wollte er schwimmend den Kahn erreichen, um zu einer außerhalb des Schlossparks bereitstehenden Kutsche gebracht zu werden – und so nach Österreich ins Exil zu gelangen. Dieser Plan seiner lebenslangen Freundin Elisabeth wurde offensichtlich zum Scheitern gebracht. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf beschreibt in seinem Buch "Das Leben meiner Mutter" den letzten Besuch Sisis am nächsten Tag in Schloss Berg, um von dem aufgebahrten König Abschied zu nehmen.

Hielt ihn sein Arzt bei der Flucht auf?
Möglich. Das alles würde zumindest erklären, warum Ludwig II. im Wasser keinen Mantel mehr trug und man Spuren eines Kampfes fand, als die leblosen Körper gefunden wurden.

Aber warum sind dann beide gestorben?
Das ist eine gute Frage. Wir wissen es nicht.

Sie sagten, er war selbstmordgefährdet. Halten Sie es für möglich, dass er ertrinken wollte?
Kriminologen sagen, dass es enorm schwierig sei, sich zu ertränken, zumal, wenn das Wasser flach ist. Und dort, wo Ludwig II. gefunden wurde, können Sie bis heute nach 100 Metern im See noch gut stehen.

Was hätte Ludwig II. retten können?
Das, was auch Bismarck ihm kurz vor seiner Verhaftung empfohlen hatte: "nach München zu fahren und sich dem Volk zu zeigen". So telegrafierte ihm der Eiserne Kanzler. Aber dazu sah sich der menschenscheue Monarch zum Ende nicht mehr in der Lage. Höchstwahrscheinlich war er zu schwermütig und zermürbt. Es gibt so viele mögliche Dramen hinter dem Drama.

In München hatte man ihn lange nicht mehr gesehen. Warum war das so?
Vergessen wir nicht, dass der König auch sehr auf sein Äußeres bedacht war. Er hatte aber in seinen letzten Jahren heftig zugenommen und viele Zähne verloren. Er mied die Öffentlichkeit auch deshalb.

Passte seine gesamte Haltung nicht zum Militarismus des 19. Jahrhunderts?
Er war dazu völlig kontra. Dass die im Krieg von 1870 geschlagenen Franzosen im Spiegelsaal von Versailles durch die von Preußen dominierte Kaiserkrönung nochmals gedemütigt wurden, löste ein öffentliches Bedauern des bayerischen Königs aus: "Die armen Franzosen", sagte Ludwig. Er wollte keine Feindschaften unter den Völkern. In Bayern sollten alle Kinder ein Instrument spielen lernen, statt des Spiels mit der Waffe. So einer muss verrückt sein, heißt es im Gutachten der Irrenärzte über sein Mitleid mit den geschlagenen Franzosen. Bismarcks Bewunderung fand er trotzdem. In dessen Arbeitszimmer in Friedrichsruh war das Bild eines einzigen deutschen Fürsten aufgestellt. Und das war unser Ludwig.

"Ohne einen stillen Gruß radle ich nie am Gedenkkreuz vorbei"

Frieden, Kunst, Technologie: War Ludwig II. ein früher Europäer?
Ein Weltbürger! Er ließ den türkischen Saal auf dem Schachen bauen. Den geplanten chinesischen Sommerpalast im Ammerwald leider nicht. Und in den Dachgarten der Münchner Residenz ließ er den Himalaya malen.

Wohin er wahrscheinlich am liebsten gereist wäre?
Sofort, wenn er nur ungehindert hätte reisen können! Vergessen wir nicht die Musik: Ludwig II. hat es Richard Wagner ermöglicht, seine Jahrhundertwerke zu komponieren, die wir heute in Bayreuth feiern: Tristan, Rheingold, Walküre.

Sie klingen sehr fasziniert vom Kini. Feiern Sie manchmal seinen Geburtstag?
Na ja, ich wohne in Berg. Dort, wo das Gedenkkreuz aufgestellt ist, spaziere oder radle ich oft vorbei. Und das geht nicht ohne einen stillen Gruß an den Kini.

Apropos Führungsfigur. Wäre Franz Josef Strauß, den Sie ja sehr gut kannten, ein guter König gewesen?
Franz Josef wäre sicherlich ein perfekter König gewesen. Am Nockherberg wurde er ja 1983 tatsächlich gekrönt (lacht), aber leider nur für einen Tag. Es gibt wunderschöne Bilder dazu. 

Lesen Sie hier: Hat König Ludwig II. Bayern an die Preußen verkauft?

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