Kein Bürger unter dieser Nummer

Alles sollte einfacher werden. Doch der Fiskus macht sich zur Lachnummer: Ein Rentner kommt aus „162“ , ein 79-Jähriger heißt jetzt „Herr Ficken“
von  Abendzeitung

Alles sollte einfacher werden. Doch der Fiskus macht sich zur Lachnummer: Ein Rentner kommt aus „162“ , ein 79-Jähriger heißt jetzt „Herr Ficken“

NÜRNBERG Vor ein paar Tagen bekam William Jung Post. Der Staat hatte geschrieben. Der Rentner (79) erfuhr, dass er jetzt eine Steueridentifikationsnummer hat. So wie künftig jeder Deutsche vom Baby bis zum Greis. Gespeichert werden Name, Tag und Ort der Geburt, Geschlecht, Anschrift, zuständige Finanzbehörde. Die Steuernummer hat elf Ziffern, die Jung sein Leben lang behalten wird.

Doch beim Lesen wurde Jung stutzig: Er erfuhr, dass sein Geburtsstaat Kasachstan sei. „Ich bin in Hamburg geboren“, sagt Jung empört zur AZ. Und es kam noch dicker: Auch beim Namen hatten sich die Beamten vertan: Die Finanzbehörden wollen den Rentner künftig als „William Ficken“ führen.

Behörde verweist an Behörde, keiner will verantwortlich sein

Es sind Fälle wie diese, mit denen sich der Fiskus derzeit zur Lachnummer macht. Denn eigentlich dürfte es solche Fehlleistungen nicht geben. Seit Monaten überprüfen Olaf Kuch, Chef des Nürnberger Einwohneramtes, und seine Kollegen die Daten. „Wir haben unsere Daten an das Bundeszentralamt für Steuern geschickt. Von dort haben wir jetzt eine Liste mit Konfliktfällen bekommen.“ Gut 4000 sind das bei den zur Zeit 504661 Nürnbergern. „1300 Fälle haben wir schon bearbeitet“, sagt Kuch. Sollte es dann noch zu Fehlern kommen, sei das Bundesamt zuständig. Doch dort will man vom Schwarzen Peter nichts wissen. Ein Mitarbeiter der kostenpflichtigen Telefonhotline (Tel.01805/ 43783837, 14 Cent/ Min.) erklärt, die Meldebehörden seien verantwortlich. Es lebe das Chaos!

Dabei sollte doch alles einfacher werden. Die elfstellige Steueridentifikationsnummer soll das Steuersystem transparenter machen und Steuerbetrug verhindern. Jeder Deutsche bekommt in diesen Tagen die Nummer zugeschickt. 82 Millionen Deutsche, 82 Millionen Nummern. Ab dem Jahr 2011 soll dann die Steuererklärung mit Hilfe der Nummer nur noch elektronisch abgewickelt werden.

Doch mit blamablen Pannen wie dieser sorgt der Staat jetzt für Misstrauen. Schon ist sie wieder da: Die Angst der Bürger vor dem Staat, der mit Daten Schindluder treibt. Vor allem Rentner sind verunsichert: Seit 2005 gibt es schärfere Steuer-Regeln für sie. Jetzt fürchten Millionen von Rentnern saftige Nachzahlungen.

Auch Rentner Klaus Richter (71) hat Post vom Fiskus bekommen. Unter Punkt 09, Geburtsstaat, fand er kein Land, sondern eine Ziffer: 162. Geburtsstaat 162? Richter ist sauer: „Ich weiß gar nicht, was das sein soll“, schimpft er. Aus dem Sudetenland wurde Richters Familie 1946 vertrieben, seitdem lebt er in Bayern, war sogar Beamter im Sozialministerium. Er hat jegliches Vertrauen zum Staat verloren: „Die Daten-Sammelwut von Innenminister Schäuble ist für das Chaos verantwortlich!“

William Jung, der als Herr „Ficken“ im neuen Formular geführt wird, hat sich in der Nachbarschaft umgehört: Der eine Nachbar ist angeblich Pakistani, der andere stammt laut Fiskus aus Uruguay. Selbst der Bürgermeister ist Libanese. „Es scheint kaum noch Deutsch-Stämmige zu geben“, sagt Jung. Er nimmt die Sache mit Humor: „Bei meinem Vornamen könnte man mich noch für einen Amerikaner halten – aber sicher für keinen Kasachen.“

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