Interview

Katharina Schulze über Präventivhaft für Klimaaktivisten: "Absolut unverhältnismäßig"

Aktivisten, die sich an den Stachus geklebt hatten, wurden jüngst in Präventivhaft genommen. Katharina Schulze über die Grenzen des Rechtsstaats und den Vorwurf der "Klima-RAF"
von  Heidi Geyer
Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen © Felix Hörhager/dpa

AZ-Interview mit Katharina Schulze: Die 37-Jährige ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag und gewann 2018 das Direktmandat in Milbertshofen.

AZ: Frau Schulze, die Klima-Aktivisten sorgen dafür, dass in ganz Deutschland Rettungswagen nicht durchkommen, Flüge ausfallen, Menschen zu spät in die Arbeit kommen. Warum setzen Sie sich für solche Menschen ein?
KATHARINA SCHULZE: Weil wir in einem Rechtsstaat leben. Und in einem Rechtsstaat muss man es ansprechen, wenn etwas aus dem Ruder läuft - wie hier bei der Präventivhaft. Da darf man nicht schweigen.

"Wenn ich im Stau stehe, entwickle ich nicht plötzlich Verständnis für mehr Klimaschutz"

Halten Sie diese Art von Protest für legitim?
Ich kann das Anliegen nach wirksamem Klimaschutz total nachvollziehen. Dafür kämpfen wir Grüne seit unserer Gründung. Ich persönlich halte die Art der Aktionen jedoch für ungeeignet, gesellschaftliche Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu erreichen. Ich sag es mal salopp: Wenn ich morgens im Stau stehe, entwickle ich nicht auf einmal ein Verständnis, dass mehr Klimaschutz nötig ist. Wenn jetzt aber manche Unions-Politiker Sätze twittern wie "Sperrt sie alle weg" - da sage ich: Deren verfassungsrechtlicher Kompass ist kaputt.

"Präventivhaft muss verhältnismäßig sein"

Ist es nicht ein Grundprinzip des Rechtsstaats, dass man Prävention betreibt?
Ja - und gute Prävention bedeutet in diesem Fall, endlich wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Hier muss die Staatsregierung viel nachholen. Aber zurück zur Präventivhaft: Diese muss verhältnismäßig sein. Ich bin für eine Präventivhaft analog zu den anderen Bundesländern: maximal 14 Tage und auch nur, wenn wirklich schwere Straftaten zu befürchten sind. Derzeit können Menschen in Bayern allein schon aufgrund einer möglichen Ordnungswidrigkeit bis zu zwei Monate weggesperrt werden. Und zwar nicht, weil sie eine solche begangen haben - sondern weil befürchtet wird, sie könnten in Zukunft eine begehen. Inzwischen gibt es ja ein Gerichtsurteil für zwei der Münchner Klima-Aktivisten: Dabei sind so niedrige Geldstrafen rausgekommen, dass man von einem Bagatelldelikt sprechen muss. Auf der anderen Seite hat die Staatsregierung hier das schärfste Schwert des Polizeirechts angewendet: die Präventivhaft. Das darf in einem Rechtsstaat nicht passieren.

Würden Sie einen Gewahrsam für 48 Stunden bei den Klima-Aktivisten zustimmen?
Nein, bei diesem konkreten Fall nicht.

"Experten halten das strenge bayerische Gesetz für hochproblematisch"

Wobei es bei den Berliner Klima-Aktivisten auch um Delikte wie den gefährlichen Eingriff in den Flugverkehr geht, für die auch Haftstrafen verhängt werden können?
Ich betone noch mal: Ich persönlich halte die Aktionen der Klima-Aktivisten für verkehrt. Und der Sachverhalt in Berlin hat auch noch mal eine ganz andere Dimension. Wir in Bayern jedoch diskutieren hier über Stauverursacher, die sich auf Straßen festkleben. Und in diesem Moment muss man eben auch klar zwischen Strafhaft und Präventivhaft unterscheiden: Wenn jemand eine Tat begeht, vor Gericht steht und das Urteil eine Haftstrafe vorsieht, dann ist das rechtsstaatlich völlig in Ordnung. Aber wenn jemand präventiv wochenlang in Haft sitzt - ohne Gerichtsverhandlung und ohne Urteil -, nur, weil man davon ausgeht, er könnte sich vielleicht irgendwann irgendwo festkleben, dann stellt sich hier schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Bei schweren Straftaten wie Terroranschlägen wäre Präventivhaft gerechtfertigt. Aber bei Ordnungswidrigkeiten oder geringfügigen Straftaten, die vor Gericht nur zu milden Geldstrafen führen würden, sicher nicht. Im Übrigen können Klima-Aktivisten in Berlin auch gar nicht so lang weggesperrt werden wie in Bayern. Nur bei uns ist das Gesetz so scharf, und viele Experten halten dies für hochproblematisch.

Protestierende hatten sich am Karlsplatz in der Münchner Innenstadt auf die Fahrbahn geklebt und den Verkehr blockiert.
Protestierende hatten sich am Karlsplatz in der Münchner Innenstadt auf die Fahrbahn geklebt und den Verkehr blockiert. © Lennart Preiss/dpa

Freispruch in Berlin, niedrige Geldstrafen in Bayern

Vielleicht sind die Strafen für die Klima-Aktivisten zu gering und schrecken nicht genug ab?
In Berlin beispielsweise wurden Klima-Aktivisten freigesprochen, mit Hinweis auf die Notwendigkeit, die Klimakrise zu bekämpfen. Und bayerische Gerichte haben bislang niedrige Geldstrafen verhängt. Es ist Sache des Rechtsstaats, das auszubalancieren. Ich frage mich, ob die CSU bei anderen Aktionen auch dieses Schwert zücken wird.

Vergleich der "Letzten Generation" mit der RAF führt zu mehr Spaltung

Inwiefern?
Zum Beispiel wenn Landwirte für eine bessere Agrarpolitik demonstrieren - was ihr gutes Recht ist - und mit ihren Traktoren in München den Mittleren Ring blockieren. Werden die dann auch präventiv 30 Tage lang eingesperrt? Ein anderes Beispiel: Jugendliche wurden während des Corona-Lockdowns bis zu elf Tage eingesperrt, weil sie erneut gegen Corona-Regeln verstoßen könnten. Das war absolut unverhältnismäßig.

Ist die Präventivhaft bei den Klima-Aktivisten aus Ihrer Sicht politisch motiviert, Stichwort: "Klima-RAF"?
Das ist eine respektlose Verhöhnung der Opfer der RAF, die ermordet wurden. Dass Herr Dobrindt das mit Menschen in Verbindung bringt, die für mehr Klimaschutz demonstrieren, ist unterirdisch und führt nur zu mehr Spaltung. Die CSU macht das ganz bewusst. Ich finde das schäbig.

Demonstrationen gegen Polizeiaufgabengesetz 2018: "Bauchgefühl der Bürger richtig"

Wie sieht es mit Stalking oder häuslicher Gewalt aus? Sollte es dann zu einer Präventivhaft kommen?
Hierfür hat die damalige rot-grüne Bundesregierung das Gewaltschutzgesetz geschaffen. Mit einer Vielzahl an rechtlichen Schutzmaßnahmen für Betroffene. Und natürlich muss die Polizei Täter in schwerwiegenden Fällen auch in Gewahrsam oder Untersuchungshaft nehmen. Aber noch mal zurück zur Präventivhaft: Hier muss man auch sehen, dass die Menschen 2018 zu Tausenden auf die Straße gegangen sind und gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG) demonstriert haben. Das Bauchgefühl der Bürger war damals richtig: Freiheit und Sicherheit sind hier nicht richtig ausbalanciert.

Dennoch fehlt jetzt der große Aufschrei in der Bevölkerung, dass der Staat zu weit geht. Haben wir uns zu stark an den Verlust unserer Freiheitsrechte während der Corona-Zeit gewöhnt?
Die Proteste damals hatten kleine Erfolge. Eine Kommission wurde eingesetzt und das Gesetz wurde etwas abgeschwächt. Und wir Grüne warten ja auch noch auf das Urteil unserer Klage gegen das Polizeiaufgabengesetz vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

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