Karl Merk hat die Arme eines Toten: "Die geb’ ich nimmer her!"

Ein Jahr nach der weltweit ersten Transplantation von zwei kompletten Armen kann Karl Merk schon wieder Fahrrad fahren.
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Ein Jahr nach der weltweit ersten Transplantation von zwei kompletten Armen kann Karl Merk schon wieder Fahrrad fahren.

MEMMINGEN/MÜNCHEN Sie wirken ein bisschen zu lang, die neuen Arme. Und die blassen, gepflegten Hände mit den langen Fingern schauen nicht unbedingt aus wie die eines Mannes, der jahrzehntelang schwer körperlich gearbeitet hat. Aber für den Bauern Karl Merk (55) aus dem Unterallgäu gehören die neuen Arme und Hände inzwischen zu ihm, als seien sie immer schon seine gewesen. „Das sind meine und die geb' ich nimmer her!“, sagt er bestimmt.

Ein Jahr, nachdem ihm am 25./26. Juli 2008 in einer 15-stündigen, weltweit einmaligen OP im Rechts der Isar die Arme eines Toten transplantiert wurden, trat Karl Merk gestern zum zweiten Mal vor die Öffentlichkeit. Er verkündete eine unglaubliche Neuigkeit: „Ich fahre wieder Rad.“

Vor einem dreiviertel Jahr trug er noch einen Gurt, der seine neuen Arme stützte. Seine Muskeln und sein Gewebe konnten die fast 15 Kilo schweren neuen Gliedmaßen nicht allein halten. Zuerst mussten seine Muskeln in die transplantierten Arme wachsen – jeden Tag etwa einen Millimeter. Heute braucht Karl Merk die Gurte nicht mehr. Ganz selbstverständlich reicht er den beiden Chef-Operateuren, den Professoren Christoph Höhnke und Edgar Biemer (emeritiert) zur Begrüßung die Hand. Er rückt sich vor den dutzenden Journalisten, die ihn gespannt mustern, seinen Stuhl zurecht. Seine Bewegungen wirken schlaksig, doch die neuen Arme und Hände sind viel im Einsatz. Mal legt sie Karl Merk in seinen Schoß oder vor sich auf den Tisch. Dann reibt er sich mit dem Handrücken an der Nase oder kratzt sich am Kopf.

Vor wenigen Monaten waren diese kleinen Handgriffe noch unvorstellbar - der Patient macht große Fortschritte.

Mit Hilfe von Spezialhandschuhen, an denen Gabel und Löffel befestigt sind, kann Karl Merk jetzt allein essen. Vor ein paar Tagen stieg der Bauer sogar erstmals wieder auf ein Fahrrad. Mit Hilfe von Spezialhandschuhen, die ihm helfen, die Finger zu krümmen, kann er nun fast wie früher zu den Maisfeldern fahren, die er vor dem schrecklichen Unfall bewirtschaftete.

Passiert war es am 23. September 2002: Karl Merk wollte seine Mais-Häckselmaschine reparieren. Der Bauer geriet mit seinem linken Arm in die laufende Maschine. Als er reflexartig versuchte, den Arm mit der anderen Hand heraus zu ziehen, riss ihm der Häcksler auch noch den zweiten Arm fast bis zur Achselhöhle ab. Die Ärzte retteten ihm damals das Leben, nicht aber seine Arme

Sechs Jahre lebte Karl Merk mit Prothesen, trainierte, doch er kam mit den künstlichen Gliedmaßen nicht klar. Mühsam lernte er, mit den Füßen das Telefon zu bedienen.

2007 traf Karl Merk in einer Talkshow den Chirurgen Edgar Biemer, damals Chef der Plastischen und Wiederherstellungschirurgie am Rechts der Isar. Die Begegnung wurde zum Wendepunkt.

Nach unzähligen Versuchen an Ratten und Hunden wagte ein mehr als 40-köpfiges OP-Team das Experiment und verpflanzte Karl Merk die kompletten Arme eines Toten. Dank dieses Mannes, dessen Identität Karl Merk bis heute nicht kennt, kann er jetzt seine Frau und seine beiden Töchter wieder umarmen: „Das geht sehr gut!“

Die Ärzte sind begeistert. Professor Höhnke: „Herr Merk ist viel weiter, als wir gedacht haben. Schon jetzt können wir behaupten, dass das Projekt gelungen ist.“ Zwar gab es zwischendurch Abstoßungsreaktionen, doch die Ärzte bekamen sie mit Artzney in den Griff.

Der große Erfolg ist auch Merks eiserner Disziplin und der intensiven Therapie zu verdanken. Jeden Morgen, außer sonntags, fährt er mit seinem fußgesteuerten Auto in die Klinik Memmingen, wo Physiotherapeuten mit ihm fünf Stunden lang trainieren. Sonntag übt er allein daheim.

„Mein größter Traum ist, dass meine Finger noch besser kommen", sagt Karl Merk. Er hofft, bald ein Glas Milch oder Bier halten und zum Mund führen zu können. Auch in der Landwirtschaft würde der frühere Milchbauer gern wieder arbeiten, „vielleicht mit Jungvieh“. Und dann hat Karl Merk noch einen ganz großen Traum: „Mal wieder Motorrad fahren!" Es steht noch immer in seiner Garage. Die Ärzte verbieten es. Noch.

Nina Job

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