Kaffeefahrt-Mafia: So zockt sie ihre Opfer ab

AZ-Reporter war mit versteckter Kamera bei mieser Masche dabei.
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Gastgeber Darius kommt in Fahrt. Er macht an diesem Nachmittag 10.000 Euro.
K. Kaufmann 2 Gastgeber Darius kommt in Fahrt. Er macht an diesem Nachmittag 10.000 Euro.
Kaffeefahrt-Teilnehmer mit ihren gerade erworbenen Schlaf-Systemen.
K. Kaufmann 2 Kaffeefahrt-Teilnehmer mit ihren gerade erworbenen Schlaf-Systemen.

AZ-Reporter war mit versteckter Kamera bei mieser Masche dabei.

NÜRNBERG Ausgenommen und abgezockt – seit Jahren warnen Polizei und Verbraucherschutzbehörden schon vor den üblen Tricks der Kaffefahrt-Mafia. Trotzdem fallen immer wieder gerade ältere Menschen auf die dubiosen Machenschaften der Abzocker herein. Die AZ wollte wissen: Wie funktioniert die miese Masche mit den absurden Gewinnversprechen – und ist deshalb mal bei einem Verkaufstrip mitgefahren . . .

Ebenso wie Reiner Ahlers. Wie alle Anwesenden, die hier in dem trostlosen Festsaal eines Wirtshaus in Eilsbrunn (bei Regensburg) sitzen, hat er an dem Strompreis-Gewinnspiel teilgenommen, das seit Wochen in ganz Süddeutschland die Briefkästen verstopft. 21500 Euro werden dort als Hauptgewinn angepriesen, die sich die Teilnehmer hier in der oberpfälzischen Provinz abholen sollen. So weit zumindest die Theorie.

Ahlers ahnt freilich, dass heute weder er, noch einer seiner Mitreisenden abräumen wird. Zumindest nicht den Jackpot. Zu oft hat es der 62-jährige Seniorenrat aus Langenzenn schon erlebt, wie seine Rentner mit dubiosen Gewinnversprechen gelockt und dann abgezockt wurden.

Als erstes erklärt der Gastgeber, der sich als Darius vorstellt, wem man diesen „unvergesslichen Tag“ zu verdanken habe. Seinen Sponsoren. Für die soll er heute Werbung machen. Von Kaufen ist (noch!) nicht die Rede.

Darius will Vertrauen aufbauen. Er spricht von schlechten Ärzten und noch schlechteren Artzney. „Nehmen Sie mal die Tabletten, die Sie in einem Monat einnehmen würden, an einem Tag. Ich schwöre Ihnen, da wird nichts passieren.“ Dass der Mann mit dem Mikrofon kein Arzt ist, dass seine Tipps lebensgefährlich sein könnten, daran stört sich hier jemand. Außer Ahlers. Der ist entsetzt, will die anderen wachrütteln: „Ich habe einen Herzfehler, brauche täglich meine Tabletten. Die kann ich doch nicht alle auf einmal nehmen“, entrüstet er sich. Aber Fragen sind nicht erwünscht. Die stellt hier nur einer. Darius. Als Ahlers sich trotzdem nochmal kritisch zu Wort meldet, wird er prompt als unbelehrbarer „Nörgler“ gebrandmarkt.

Schnell wird klar: Es ist sicher nicht die erste Verkaufsveranstaltung, die der 42-jährige Roy Black-Verschnitt aus Bremen leitet. Und deshalb hat der „Moderator“ leichtes Spiel bei seinen „Kunden“, die seit dem frühen Morgen seinen hübsch verpackten Lügen lauschen müssen.

Magnetismus hilft gegen Rheuma, Migräne und Krebs

Kostprobe gefällig? Egal ob Rheuma, Hüftleiden, Migräne, Krebs – Darius’ Lösung für so ziemlich alle Krankheiten, die ein Mensch nur haben kann, lautet: „Magnetismus“. „Wussten Sie schon, dass Wadenkrämpfe die häufigste Todesursache in Deutschland sind?“, fragt er in die Runde. Ungläubiges Raunen. „Na klar, da ist dann was verstopft und dann Herzinfarkt, Schlaganfall und zack, bumm, das war’s.“ Eifriges Kopfnicken. „Wer hatte von Ihnen schon mal Rückenschmerzen?“ Alle Finger schnellen hoch.

Stunden lang geht die Gehirnwäsche schon. Jetzt hat er seine Gäste weich gekocht. Nun kann er seine „Weltneuheit“ präsentieren. Die Magnetauflage fürs Ehebett von der „renommierten Firma Bayersync“! Damit würden der Stoffwechsel angeregt und so alle Schmerzen geheilt. Das ganze sei zwar mit 1798 Euro nicht ganz billig. „Aber sehen Sie: Sie sparen sich dadurch viele teure Tabletten, die eh nichts bringen“, erklärt Darius. Sein Argument kommt an – sparen ist immer gut. „Wo kann ich so etwas kaufen?“, fragt eine ältere Dame ganz angetan. Was sie nicht weiß ist, dass die angepriesene Wunderwaffe in der Herstellung gerade mal 19 Euro kostet, wie die AZ aus Insiderkreisen erfuhr.

Gleiches gilt auch für die zweite Weltneuheit in Darius’ Sortiment: „Ein dreiteiliges Kaschmir-Schlafsystem.“ Die mit Keimen, Bakterien und Milben vollgesogenen Federbetten seien die Ursache für die meisten Allergien, sein Edel-Bettzeug die Lösung. 1300 Euro soll der „Mercedes unter den Betten“ kosten. „Dasselbe habe ich für 200 Euro beim Schickedanz gekauft“, flüstert eine Frau ihrem Mann zu, als sie den Preis hört. Dem Rest ist’s herzlich egal. Sie glauben an Darius’ Versprechen, auch wenn sie noch so absurd sind. „1000 Kinder ersticken jedes Jahr unter Federbetten. Wollen Sie so etwas ihren Enkeln vererben?“, fragt Darius. Reiner Ahlers kann nur noch den Kopfschütteln. Der Rest zückt den Geldbeutel.

Betrogen fühlt sich keiner der Teilnehmer. Ausgenommen, aber glücklich.

Insgesamt sieben Schlafsysteme inklusive Magnetauflage verkauft Darius an diesem Vormittag. Ein Paar schlägt gleich doppelt zu. Dazu noch etliche Flaschen Reinigungsartikel, Magnetstein-Ketten und Heilpflaster. Für den Kaffefahrt-Moderator hat sich die Veranstaltung gelohnt. Mit geschätzten 10000 Euro tritt er die Rückreise nach Bremen an. Zuvor wird es jedoch nochmal spannend. Der angekündigte Hauptgewinn wartet ja noch. Aber – wenig überraschend – bei niemandem springt die Tür des Tresors mit den 21500 Euro auf...

Die Veranstaltung ist vorbei. Mit Decken, Matten und Kissen bepackt, strömen die Leute aus dem Gasthof. Ahlers hat derweil längst aufgegeben. „Selber schuld“, murmelt er nur, während seine Alters-Kollegen stolz ihre Schätze im Gepäckraum verstauen. Betrogen fühlt sich keiner der Teilnehmer. Im Gegenteil: Wie Trophäenjäger sitzen sie im Bus nach Hause. Abgezockt, aber irgendwie glücklich. kk

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