Jurist über Maskendeals: "Raffke-Mentalität ist nicht strafbar"

AZ-Interview mit Hans Kudlich: Der 51-jährige Juraprofessor ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg.
AZ: Herr Professor Kudlich, das Oberlandesgericht München hat kürzlich die Ansicht vertreten, die Masken-Vermittlungsgeschäfte der Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein erfüllten nicht den Straftatbestand der Bestechlichkeit. Können Sie das nachvollziehen?
HANS KUDLICH: Voraussetzung für die Strafbarkeit ist nach dem Gesetz, dass der Abgeordnete "bei der Wahrnehmung seines Mandates" tätig ist. Man könnte jetzt zwar meinen, dafür reicht schon aus, wenn der Betreffende auf sein Mandat verweist. Oder auch nur, wenn Dinge gut funktionieren, weil man eben das Mandat hat. Dagegen spricht folgendes Beispiel: In seiner Heimatstadt setzt sich ein Abgeordneter bei einem privaten Vermieter für einen Bekannten ein, der diese Wohnung mieten möchte. Man würde nicht sagen, dass es sich um Korruption handelt, weil es nichts mit dem Mandat zu tun hat - und man würde das im Übrigen auch bei einem Oberbürgermeister nicht sagen, weil es kein Teil seiner Dienstausübung ist.

Hans Kudlich: "Die 'Freiheit des Mandats' wird etwas weiter verstanden"
Aber wenn dieser Oberbürgermeister dafür Geld bekommt?
Das würde nichts daran ändern, dass es sich nicht um eine Handlung im Rahmen der Dienstausübung handelt. Man wäre sicher befremdet und würde - wie in den Masken-Fällen - eine Raffke-Mentalität anprangern, aber eine solche Mentalität an sich ist zunächst nicht strafbar.
Muss man bei gewählten Mandatsträgern nicht etwas strengere Maßstäbe anlegen?
In Artikel 38 des Grundgesetzes wird die Freiheit des Mandats garantiert. Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen. Diese "Freiheit des Mandats" wird in der Tat etwas weiter verstanden, über die parlamentarische Arbeit im engeren Sinne hinaus; aber das sagt nichts über die Verwendung des Begriffs im Strafrecht aus. Wenn ein Abgeordneter seine Autorität gegen Bezahlung so einbringt wie in dem von mir geschilderten Fall mit dem Bürgermeister, kann man mit Fug und Recht empört sein, aber es wird vom Gesetzgeber nicht als strafbar erachtet.
Ist das für Sie sachgerecht?
Das ist vielleicht - jenseits der Empörung - auch richtig so, denn die Grenzen sind schwer zu ziehen. Warum sollte die Strafbarkeit bei Parlamentariern weiter gefasst werden als bei anderen Leuten, die sich korruptiv betätigen?
Falls auch der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass sich niemand strafbar gemacht hat: Würden Sie eine Gesetzesänderung empfehlen?
Die aktuellen Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Das OLG München hat in seinem Beschluss selbst ein Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass man nach geltender Gesetzeslage nicht anders entscheiden habe können, auch wenn das dem allgemeinen Rechtsempfinden nicht entspreche. Hier sei der Gesetzgeber gefordert. Ein solcher Appell in einer Gerichtsentscheidung ist selten. Wenn ein Gericht sagt, es halte sein Ergebnis nicht für optimal, fühle sich aber an das Gesetz gebunden, finde ich das sehr sympathisch.
Hans Kudlich: "Eine Mittäterschaft scheidet sicher aus"
Sehen Sie Ansätze zur Strafverfolgung anderer Beteiligten an den sogenannten Maskendeals? Das Material soll ja teilweise zu Wucherpreisen eingekauft worden sein.
Zu Beginn der Pandemie herrschte sicher große Unsicherheit auf dem Feld. Es stellt sich die Frage, ob es sich - auch in Anbetracht der Provisionen - um Geschäfte gehandelt hat, die selbst aus der damaligen Situation nicht vertretbar waren. Da stellt sich bei den Beschaffungsbehörden die Frage nach einer Untreue-Strafbarkeit und der Teilnahme daran.
Also könnten sich Sauter und andere unter Umständen der Beihilfe oder Mittäterschaft zur Untreue von Steuergeldern schuldig gemacht haben?
Eine Mittäterschaft scheidet sicher aus, weil die Parlamentarier als Vermittler eines privaten Geschäfts wohl keine spezifische Vermögensbetreuungspflicht hatten, wie die Untreue sie voraussetzt. Eine Beihilfe zur Untreue durch die Mitarbeiter der Beschaffungsbehörden kommt bei ihnen aber - wie bei jedem, der in dieser Situation unvertretbar teuer Masken verkauft hat - in Betracht. Man sollte aber aufpassen, dass man nicht den etwas vagen Tatbestand der Untreue überdehnt, nur um eine als unbefriedigend empfundene Gesetzeslage mit Blick auf die Korruption "auszugleichen".