Junge Bartgeier ausgewildert: Die stillen Heimkehrer

Im Berchtesgadener Nationalpark sind erneut junge Bartgeier ausgewildert worden. Was dies für den Naturschutz bedeutet.
Leonie Fuchs |
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Ein Mitarbeiter im Nationalpark Berchtesgaden zeigt das Bartgeierweibchen Recka vor ihrer Auswilderung.
Ein Mitarbeiter im Nationalpark Berchtesgaden zeigt das Bartgeierweibchen Recka vor ihrer Auswilderung. © Sven Hoppe (dpa)

"Heute ist ein guter Tag für die Artenvielfalt", sagt Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) am Donnerstag (Auswilderungstag). Denn jetzt ist Bartgeier-Dame Bavaria nicht mehr ganz alleine in den bayerischen Alpen unterwegs: Die Weibchen Dagmar und Recka werden schon bald ihre ersten Kreise über dem Nationalpark Berchtesgaden ziehen.

Am Donnerstag wurden die Jungvögel in Tragekisten zu einer Felsnische im Nationalpark gebracht. Von jener aus starteten schon ihre Artgenossen Wally und Bavaria, die 2021 vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) und Nationalpark Berchtesgaden im Rahmen eines alpenweiten Wiederansiedlungsprogrammes ausgewildert wurden, ihre Erkundungsflüge.

In den nächsten zehn Jahren sollen bis zu 30 Bartgeier folgen

Auch die zwei Neuen stammen aus einem Zuchtprogramm in Spanien. "Das sind witzigerweise die Schwester von Wally und die Cousine von Bavaria", hatte Toni Wegscheider vom LBV angekündigt.
Wally war Ende Mai tot im Zugspitzmassiv gefunden worden. Warum sie starb, ist bislang unklar (AZ berichtete).

"Wallys Verlust war ein Schlag", sagt Wegscheider der AZ, der die majestätischen Greifvögel seit Beginn begleitete. Eigentlich überstehen 90 Prozent der Tiere die ersten Jahre, das sei aus vorherigen Projekten bekannt. "Daher gehen wir davon aus, dass Wally ein Ausreißer war – wir hören jetzt nicht auf." In den nächsten zehn Jahren sollen bis zu 30 Bartgeier folgen.

Mit einer Flügelspannweite von 2,90 Metern, zählen sie zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Aasfresser in den Alpen gänzlich ausgerottet – wegen ihres schlechten Images als "Lämmergeier" und "Kinderfresser" fürchtete sie der Mensch. "Das ist natürlich Quatsch, sie sind komplett harmlos", erklärt der Biologe.
Doch dieser Fehler des Menschen müsste nun wieder gut gemacht werden. Jedes Individuum sei entscheidend.

Es gibt 340 Bartgeier im Alpenraum

Wieso sind Wiederansiedlungen generell wichtig? Auch Tierarten, wie Luchs, Wildkatze und Fischotter waren einst ausgerottet. Die Populationen seien auf den menschlichen Input angewiesen gewesen, damit sie sich wieder ausbreiten können. "Es geht darum, Kreisläufe wieder herzustellen und Ökosysteme zu stabilisieren." Gerade unter dem Aspekt Klimawandel und der folglich ungewissen Zukunft sei eine möglichst große Artenvielfalt entscheidend.

Auch die Auswilderung des Bartgeiers sei essenziell – "über ein Jahrhundert lang hat der Letzte in der Nahrungskette gefehlt". Der Aasfresser vernichte etwa auch Krankheitserreger. "Doch Naturschutz betreiben wir letztendlich für uns – für unsere Lebensqualität und für unsere Kinder."
Der riesige Aufwand derartiger Projekte lohne sich deshalb. Nun gibt es 340 Bartgeier im Alpenraum – und im Freistaat seit Donnerstag bereits drei.
Welche Auswilderungsprojekte außerdem noch geglückt sind, lesen Sie in den Kästen unten. 


Ziel: "Natürlicher Erhalt"

Auch Wildkatze und Luchs wurden erfolgreich wieder in Bayern angesiedelt. Doch haben es diese Tiere nicht immer leicht. Artenhilfsprogramme müssen deshalb auf europäischer Ebene, grenzübergreifend betrachtet werden, sagt der LBV-Landesfachbeauftragte für Naturschutz, Andreas von Lindeiner, der AZ.
Nur Tiere, die ursprünglich in einem Land heimisch waren, könnten dort auch wieder angesiedelt werden. Die "IUCN" (International Union for Conservation of Nature), die auch die Rote Liste gefährdeter Tierarten herausgibt, lege die fachlichen Kriterien zur Wiederansiedlung fest. "Man möchte ja keinen kanadischen Biber in Europa aussetzen." Dadurch könnten etwa genetische Probleme entstehen.
Europäisches Ziel sei ein günstiger, natürlicher Erhaltungszustand bedrohter Arten, so von Lindeiner.

Bei welchen Tieren dies beispielsweise gelungen ist:

Luchs: Sein größtes Problem ist "illegales Bejagen", sagt von Lindeiner. Dem Bund Naturschutz (BN) zufolge war der einsame Wanderer 150 Jahre aus unseren Wäldern verschwunden. Seit 1970 wird die größte Katze Europas in ihre Heimat zurückgeholt.
In Bayern leben laut Landesamt für Umwelt (LfU) jetzt 70 selbstständige Tiere und 27 Jungtiere (Stand: 2021) – sie streifen vor allem durch den Bayerischen Wald, einige weitere in den Mittelgebirgen und im Allgäu.

Wildkatze: Gnadenlose Verfolgung und der Verlust großer Waldgebiete setzte den Raubtieren so stark zu, dass sie in Bayern 1940 als ausgestorben galten. Dank Naturschutzaktionen gehen die BN-Experten heute von rund 500 Individuen aus, die nun wieder durch den Freistaat pirschen – etwa im Spessart, der Rhön oder im Kreis Hof.

Übrigens: Der Wolf kehrte von allein in seine Heimat zurück, nachdem das streng geschützte Tier dort 150 Jahre lang ausgerottet war. Der Bestand erholte sich. "Es ist spannend, dass Arten, wie der Wolf – wenn man sie in Ruhe lässt –, sich wieder ausbreiten", sagt von Lindeiner.


Rettung in letzter Minute

Über die Hälfte der 206 bayerischen Brutvögel sind bedroht, 133 von ihnen stehen auf der Roten Liste, schreibt der Landesbund für Vogelschutz (LBV) auf seiner Webseite. Doch es sind auch Erfolge zu verzeichnen im Flugreich:
Vor 30 Jahren zog kein Wanderfalke mehr seine Kreise über Bayern. Doch dank erfolgreicher Artenhilfsprogramme brüten heute bayernweit 300 Paare.
Auch andere Vögel hätten sich positiv entwickelt: Etwa die Bestände des Steinadlers, – ehemals als "stark gefährdet" eingestuft –, oder der Uhu erholten sich langsam.
Der skurril anmutende Waldrapp zählt heute noch immer zu den am stärksten bedrohten Vogelarten der Welt. Doch der einst in Bayern ausgerottete Zugvogel (er landete bis ins 17. Jahrhundert im Kochtopf) kehrte zurück. Im Rahmen eines europäischen Artenschutzprogrammes startete seine Wiederansiedlung unter anderem in Burghausen (Kreis Altötting, AZ berichtete). Zuletzt war dort von 16 Jungtieren die Rede.

Sein Markenzeichen: markanter Schopf und langer Schnabel
– ein Waldrapp.
Sein Markenzeichen: markanter Schopf und langer Schnabel – ein Waldrapp. © Felix Kästle (dpa)

Biber kämpft sich zurück

Unerbittlich gejagt wurde der Biber Anfang des 19. Jahrhunderts wegen seines Fleisches und seines Duftsekrets, das als Wundermittel galt, so der Bund Naturschutz (BN). Das Ergebnis: Nicht nur in Bayern war der Nager ausgestorben, sondern auch europaweit fast verschwunden.
Der BN hat den Urbayer nach eigenen Angaben in den 1960er Jahren zurückgeholt. Heute würden ihn Vorurteile bedrohen, etwa über eine vermeintliche Übervermehrung.
In Deutschland gibt es nun 40.000 Exemplare (früher allein in Bayern 100.000) – selbst auf der Museumsinsel in München gibt es Dämme.

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