Julia Irmen: Helfen gibt ihr den Kick

Deggendorf - Mit einem Boot der Bundeswehr kam sie an. Bei ihrer alten Wohnung. Dort, wo sie jahrelang zu Fuß hingeschlendert war. Bei der Wohnung, die sie ihrer guten Freundin Tina überlassen hatte, nachdem sie mit ihrem Mann Stefan und dem Sohn Maximilian (2) einige Kilometer weiter nach Osterhofen übersiedelt war. Der Wohnung, die nun vom Jahrhunderthochwasser getroffen worden ist.
„Der Anblick war ein echter Schock“, sagt Julia Irmen, „alles voller Dreck, voller Schlamm, voller Wasser, die nagelneue Einbauküche konnte wir nur noch wegschmeißen. Bis 1,80 Meter hoch ist das Wasser in der Wohnung gestanden.“
Am Freitag vor einer Woche hatte sie sich in München den Weltmeister-Titel im Kickboxen geholt. Am nächsten Tag nahm sie einen Kampf auf, der sehr viel wichtiger ist: der Kampf gegen das Hochwasser in ihrer niederbayerischen Heimat.
Irmen, die in Osterhofen lebt und dort schon in den Tagen vor dem Kampf bis zu 20 Flutopfer, darunter die Familie ihres Ehemannes Stefan, beherbergt hat, langt seitdem selber mit zu.
Nach der Flut: "Wir helfen zusammen"
In der Früh geht es los, bis in den späten Abend hinein. Obwohl sie einen kleinen Sohn hat, obwohl ihre Mutter nach einem schweren Sturz momentan im Rollstuhl sitzt, will die 28-jährige Bundespolizistin (momentan in Elternzeit) helfen.
„Wir brauchen hier jede Hand, aber oft ist man mindestens so sehr als Seelentröster gefragt. Meine früheren Nachbarn – ein ganz liebes, altes Paar – haben alles verloren. Da waren 40 Helfer mit Schaufeln den ganzen Tag beschäftigt, den Dreck rauszukriegen. Aber am Abend hat man nicht mal gesehen, dass sich irgendwas verändert hat. Die Mengen an Schlamm sind unglaublich“, sagt Irmen, die bei ihrem Kampf in München über 2000 Euro für die Opfer gesammelt hat – Kickbox-Superstar Christine Theiss hat dann den Betrag auf 5000 Euro erhöht. Irmen sagt: „Wenn man in die Augen von Leuten sieht, die wirklich alles verloren haben, die vor den Trümmern ihres Lebens, ihrer Existenz stehen, dann muss man einfach helfen.“ Die Polizistin, die unter anderem auch in Los Angeles mit auf Streife unterwegs war, hat in ihrem Leben bereits viel gesehen, aber das Szenario in ihrer Heimat hat sie tief schockiert. „Allein der Geruch hier ist brutal. Man riecht die Tierkadaver, die riesigen Mengen Öl, die aus den kleinen Höfen geschwemmt wurden. Das hat sich alles auf die Natur gelegt, der ganze Boden hier ist von dem Öl hart wie Beton“, sagt Irmen, „alles ist verseucht. Die Ärzte haben uns eindringlich gewarnt, dass, wann immer wir uns eine Schnittwunde zuziehen, wir die sofort versorgen müssen. Und dass wir uns impfen lassen, weil die Infektionsgefahr riesig ist.“
Nach der Flut: Deggendorf räumt auf
Doch sie langt hin, putzt, schaufelt, verteilt Essen. „Der Zusammenhalt hier ist wunderbar. Wenn man sieht, wie Menschen, die 200, 300 Kilometer gefahren sind, mit Gummistiefeln und Schaufeln bewaffnet ankommen und einfach helfen wollen, zeigt das, wie stark der Zusammenhalt, die Solidarität ist“, sagt Irmen, „Das sind lauter kleine Heldengeschichten.“
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