Jugend-Aufstand mit Sex
NÜRNBERG - Ein Skandal-Roman wird zum Bühnenstück: Juli Zehs „Spieltrieb“ hat am Samstag Nürnberg-Premiere
Ganz gegensätzlich urteilende Kritiker, fasziniert und empört, entdeckten in Juli Zehs Roman „Spieltrieb“ nicht weniger als „entfesselte Unmoral“, und Bernhard Studlars Bühnenfassung wurde bei der Hamburger Uraufführung „brutale Bildersprache“ bescheinigt. Skandal in Sicht? Dramaturgin Maren Zimmermann winkt ab: „Skandale gibt es doch gar nicht mehr!“ Auch nicht, wenn eine allzu kluge 14-Jährige und ihr gleichgesinnter Schulkamerad, unterfordert vom geordneten Bildungssystem der Erwachsenen-Gesellschaft, sich ihre Herausforderung suchen, indem sie Lehrer mit scharfem Intellekt und ebensolchem Sex zur Raserei treiben. Was steckt dahinter: Nihilismus oder Utopie, Literatur oder Porno? Die Schlagworte rattern nur so beim Blick auf die „New Generation“. Der Berliner Christoph Mehler, der im Vorjahr die schrille Komödie vom „Tag der jungen Talente“ inszenierte, führt Regie bei der Umsetzung des dickleibigen Bestsellers auf schlanke 95 Bühnen-Minuten. Am Samstag ist in der Tafelhalle Premiere.
Was war für Sie der Einstieg, das Buch oder das Stück?
CHRISTOPH MEHLER: Ich habe zuerst das Stück gelesen, dann aber beides als Material genutzt. Der Roman mit seinen 600 Seiten hat viele Facetten, ist aber auch geschwätzig. Der Stücktext war schon ein Konzentrat, das wir aber noch weiterführen. Wir spielen das Destillat vom Destillat.
Sind die beiden Jugendlichen denn Außenseiter oder Modellfälle ihrer Generation?
Ich kann mit dem Begriff der „neuen Gesellschaft“, den die Autorin anwendet, nicht viel anfangen. Mich interessiert das Spiel, das in Bewegung gesetzt wird, und die Frage, was das für eine Gesellschaft ist, in der die Jugendlichen alle moralischen Werte, aber gleichzeitig ja auch ihr Feindbild verlieren.
Und die Antwort?
Ich bleibe lieber bei Fragen. Aber klar ist, dass unsere Eltern irgendwie alles richtig gemacht haben und dadurch die Chance zur Revolte minimal geworden ist. Sowas hat Folgen.
Ist der kriminelle Aufstand ein Signal der „heutigen Jugend“ oder doch bloß die Energie von zwei Außenseitern?
Was beide tun, ist zweifellos moralische Grenzüberschreitung, aber eben gleichzeitig auch ein perverses Kinderspiel. Ich sehe keine Prototypen der neuen Jugendbewegung, nur eine kleine Zelle, einen Vorfall.
Tatort ist ein Gymnasium, die Hauptfiguren sind 14 und 18. Wie realistisch können erwachsene Schauspieler so etwas darstellen?
Wir spielen kein GRIPS-Theater, sondern einen Bewusstseinszustand mit allen diffusen Sehnsüchten. Es gibt also keinen Schulhof-Naturalismus, aber die Möglichkeit der Identifizierung. Die beiden Jugendlichen, die im Generationskonflikt feststecken, spielen ihr Spiel – und wissen gar nicht, was sie gewinnen oder verlieren können.
Was kann das Theater dabei gewinnen?
Wir suchen den wahren Moment, das ist die Verabredung.
Die rebellierende Jugend, verständnislose Erwachsene, der neunmalkluge Aufstand im Klassenzimmer – da ist man schnell bei einer Rundreise von „Der junge Törless“ zu „Hurra, die Schule brennt“. Kämpfen Sie mit Klischees?
Mein Ziel ist es, ein Sittengemälde zu schaffen. Natürlich spielt die Autorin mit Klischees – und wir wollen uns gar nicht verweigern. Auch so kommt man der Alltäglichkeit ein Stück näher. Dieter Stoll
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