„Jeder braucht seinen Job“
NÜRNBERG - Der Chef und Sänger der britischen Band Jethro Tull vorm Konzert in Heilsbronn über sein Image als „Waldschrat“ und reaktionärer Musiker
Von der „Spider Murphy Gang“ und Comedian Martin Schneider werden die Rock-Veteranen von Jethro Tull gerahmt, die beim Heilsbronner Minifestival in der Hohenzollernhalle am 1. November auftreten. Die Band, die vor Jahrzehnten schon das Spottmotto „Too old to rock’n’roll, too young to die“ ausgaben, feiern immer noch 40jähriges Bandjubiläum. Wir sprachen mit Mastermind Ian Anderson, der die Gruppe 1967 gründete
AZ: Herr Anderson, sind Sie eigentlich der Zampano dieser Formation, wie Ihnen häufig nachgesagt wird?
IAN ANDERSON: Ich weiß, dass mich alle für den großen Diktator halten, der sich seine Musiker als bezahlte Sklaven hält. Nun, so ist das wirklich nicht! Wahr ist, dass ich alle Stücke komponiere. Doch erst im homogenen Spiel mit den anderen wird daraus eine Jethro-Tull-Platte.
Sie haben sich mit der Flöte ein vergleichsweise leises und akustisches Instrument auserkoren fürs laute Rock-Geschäft. Wie kam es dazu?
Es war 1967, ich machte in Blackpool einen Einkaufsbummel, sah in einem Musikalien-Geschäft eine Flöte im Schaufenster und habe sie spontan gekauft. Noch am selben Tag fing ich an zu üben wie ein Besessener! Ich hatte vorher nie eine Flöte in der Hand gehabt. Doch innerhalb von fünf Monaten fühlte ich mich kompetent genug, um dieses Instrument in unsere Band einzubringen. Seitdem bin ich als der Waldschrat mit der Zauberflöte bekannt. Mit dieser Definition meines Charakters in der Öffentlichkeit habe ich überhaupt kein Problem.
Probleme haben Sie höchstens damit, wenn man Sie in den Medien immer wieder als reaktionären Traditionalisten abtut, der politisch für die Rechten schwärmt.
Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn, denn als Rock-Musiker bin ich doch den Klängen der ganzen Welt verpflichtet. Richtig ist: Zunächst mal fühle ich mich als Schotte, weil meine Eltern Schotten sind, dann als Brite und dann als Europäer. Das alles sind schließlich meine kulturellen Ursprünge. Doch zur Musik kam ich als Blues-Fan, und der Blues ist definitiv in Afrika zuhause. Dazu kommt, dass wir hier in England längst in einer multi-kulturellen Gesellschaft leben. Diese Sache funktioniert prima, die eine Kultur befruchtet die andere. Warum zum Teufel sollte ich unter solch famosen Umständen ein Reaktionär sein?
Sehen Sie sich in Ihrer persönlichen Entwicklung als eher altmodischer Mensch?
Nein, auch damit kann ich nicht dienen! Im Gegenteil, ich bin ein Mann der permanenten Entwicklung. Mir ist klar, dass meine Stimme höchstens noch fünf oder zehn Jahre mitmacht, dann ist es mit meiner Karriere als Musiker definitiv zu Ende. Deshalb habe ich mir als Maler ein zweites Standbein geschaffen, damit ich auch im Alter kreativ tätig sein kann.
In den frühen 90er Jahren hatten Sie Probleme mit Ihrer Stimme – ist dieses Problem inzwischen behoben?
1993 schien es, als wäre meine Stimme endgültig hinüber. Ich sang und gab Interviews, das hat dieses Organ völlig ruiniert. Deshalb schone ich die Stimme inzwischen – singen und Interviews geben am selben Tag, das ist nicht mehr möglich.
Jemand, der in seiner Karriere schon so viel Erfolg gehabt hat – wie geht der damit mittlerweile um?
Ich vergleiche das immer mit Sex, der mit 20 Jahren anders ist als der Sex, den man mit 50 hat – es ist anders als früher, aber stets von einer gewissen Intensität. Und außerdem braucht jeder Mensch auf dieser Welt seinen Job, das ist wichtig fürs Selbstbewusstsein. Mein Job ist der des Musikers. Der ist entscheidend für meine Identität.Interview: M. Fuchs-Gamböck
- Themen: