Jede fünfte Familie von Armut bedroht

MÜNCHEN - Reiches Bayern? Von wegen! Viele Menschen im Freistaat sind arm oder von Armut bedroht. Das steht im Sozialbericht der Staatsregierung. Wen es außer Familien mit Kindern besonders schlimm trifft, wo das Armutsrisiko am höchsten ist...
Kindern, Alleinerziehende und Einwanderer in Bayern sind armutsgefährdet. Das steht im 800 Seiten starken Sozialbericht der Staatsregierung, den Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) am Donnerstag im Landtag vorstellt. Die Regierung brüstet sich damit, dass der Freistaat ein „wohlhabendes Land“ sei. Die Arbeitslosigkeit lag im vergangenen Jahr bei niedrigen 4,2 Prozent, das Wirtschaftswachstum von 2000 bis 2007 betrug fast zwölf Prozent. Doch jeder neunte Bayer ist von Armut bedroht und muss mit weniger als 877 Euro im Monat auskommen.
Damit liegt Bayern zwar unter dem Bundes-Schnitt. Auch sind nur acht Prozent der Haushalte im Freistaat überschuldet – sowenige wie sonst nirgendwo in Deutschland. Doch die Opposition sieht die Lage anders: „Bei den Einkommen, den Renten, der Bildung und den Schulabschlüssen gibt es ein Süd-Nord-Gefälle“, sagt SPD-Sozialsprecherin Christa Steiger.
Die AZ erklärt die heiklen Passagen des Sozialberichts.
Alters-Armut:
Menschen im Alter über 65 haben in Bayern ein Armutsrisiko, das höher ist als in ganz Westdeutschland. Jeder sechste Rentner ist armutsgefährdet. Laut dem Sozialverband VdK Bayern sind in Bayernweit über eine halbe Million älterer Menschen betroffen. Im westdeutschen Durchschnitt droht nur jedem siebten Rentner die Armut. Als armutsgefährdet gilt in Bayern, wer im Monat nicht mehr als 877 Euro hat. Frauen, Geschiedene und Rentner ohne Berufsabschluss sind am schlimmsten betroffen. Die Staatsregierung erklärt sich die hohe Quote dadurch, dass Bayern lange ein Agrar-Staat war und deshalb die Renten niedriger sind als anderswo.
Familien in Not:
Jeder vierte Alleinerziehende ist armutsbedroht. Bei Alleinerziehenden mit mehr als zwei Kindern ist es sogar jeder dritte. Kinderreiche Paare stehen wenig besser da: Jeder fünften Familie droht die Armut.
Arme Kinder und Jugendliche:
Jedes elfte Kind unter 15 Jahren´ ist armutsgefährdet – damit liegt Bayern unter dem Bundes- Schnitt. Anders ist es bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 25: Jedem achten Jugendlichen droht die Armut. Insgesamt sind in Bayern 333 000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet.
Bildungs-Ungerechtigkeit:
Die meisten Schüler gehen von der Grund- auf die Hauptschule. Fast 40 Prozent gehen auf die Hauptschule, 37 Prozent aufs Gymnasium, 23 Prozent auf die Realschule. Bundesweit geht nur jeder dritte Schüler nach der Grund- auf die Hauptschule. In München und im Landkreis München wechseln mehr als die Hälfte der Schüler aufs Gymnasium. In Hof wechselt jeder Zweite auf die Hauptschule. Gerecht ist das Bildungssystem nicht: Kinder aus sozial bessergestellten Familien bekommen in Bayern eher einen höheren Schulabschluss als Kinder aus sozial schwachen Familien.
Kluft zwischen Arm und Reich:
Ein Fünftel der bayerischen Haushalte verfügt über zwei Drittel des gesamten Vermögens. Ein durchschnittlicher bayerischer Haushalt verfügt über ein jährliches Netto-Vermögen von 54 604 Euro – doch innerhalb des Freistaats gibt es große Unterschiede: Während es den Menschen im Norden und Osten Bayerns schlechter geht, verfügen vor allem Menschen in Oberbayern über besonders hohe Einkommen.
Benachteiligte Zuwanderer:
Die 2,3 Millionen Zuwanderer und deren Nachkommen verdienen in Bayern nicht nur 20 Prozent weniger Geld als Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Arbeitslosenquote ist mit 13,1 Prozent mehr als zweieinhalb mal so hoch. Jedem vierten Zuwanderer droht die Armut.
Volker ter Haseborg