Irrland aus Gelafer und Gelichter

Hinter den Geheimratsecken geht’s weiter: Heinz Rudolf Kunze, zu Gast im Karstadt-Kulturcafé, hat mit „Räuberzivil“ ein Zukunftsmodell entwickelt.
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Zorniger Untergangsprophet: Heinz Rudolf Kunze (Mi.) mit Wolfgang Stute (li.) und Hajo Hoffmann beim Nürnberger Konzert.
Klaus Schillinger Zorniger Untergangsprophet: Heinz Rudolf Kunze (Mi.) mit Wolfgang Stute (li.) und Hajo Hoffmann beim Nürnberger Konzert.

NÜRNBERG - Hinter den Geheimratsecken geht’s weiter: Heinz Rudolf Kunze, zu Gast im Karstadt-Kulturcafé, hat mit „Räuberzivil“ ein Zukunftsmodell entwickelt.

Der finale Schlachtruf nach zwei „Who“-Klassikern setzte den Schlusspunkt unter einen umjubelten Abend, bei dem der deutsche Untergangsprophet ganz außer und damit ganz bei sich war: „Rrrrooaarrr!“ rief Heinz Rudolf Kunze, der Tarzan im Wort- und Werte-Dschungel, von der Bühne des Nürnberger Karstadt-Kulturcafés herunter. Wow! dachte sich vorher das Publikum, wie die selbst ernannte „Brille“ mit der Denkerstirn im „Räuberzivil“ (so nennt er das Konzertlesungs-Konzept einer „mobilen Guerilla-Einheit“) mit nachwachsendem Sarkasmus durch Innenleben und Außenwelt wandert. Hinter den Geheimratsecken geht’s weiter.

Er sei „Ferdinand Frauenversteher, Anselm Anprangerer, Bernhard Besänftiger“, erklärt der Künstler seine multiple Persönlichkeit und beruhigt: „Lauter nette Leute“. Die in diesem spielfreudigen Trio – Wolfgang Stute (Gitarre, Cajon) und der famose Hajo Hoffmann (Geige, Mandoline) – ihre Persönlichkeit entfalten. Der fließende Übergang zwischen Satire und Song ist mit seinem kammermusikalischen Ansatz, der des Sängers Stimme nicht bedrängt, ein klingendes Zukunftsmodell: Ein Experimentierbaukasten aus Wortgewalt und Melodiefluss, wo sich Mordgedanken im Damenschuhgeschäft und Verfolgungswahn kreuzen. Kunze, der sich in Kürze mit dem neuen Album „Protest“ die Rock-Kante gibt, klingt hier nicht wie Hinz, sondern macht den Klugheiten Platz mit geerdetem Blues und Liedermacherei. Das steht auch Karrierebegleitern wie „Aller Herren Länder“ gut.

26 Jahre nach seinem ersten Bardentreffen-Auftritt („Mein Gott, ist das lange her“) nochmals eine „Bestandsaufnahme“ über „Barrack Osama“ aus dem „vielleicht schönsten, aber dümmsten Land der Welt“ („Amerika hatte keine Wahl!“), über Paul Potts (diesen „halbernährten Pavarotti-Papagei“) und unser kleines „Irrland“ mit all seinem „Gelafer und Gelichter“. Logisch: Ohne „Brille“ wär’ das nicht passiert. „Warum wird eigentlich alles immer beschissener – außer uns?“, fragt der 52-Jährige spöttisch und hat vorher schon einen Vorschlag gemacht: „Lasst uns alles dicht machen.“ Birne leer, Arche voll. Die Zeiten, die sich bei Dylan ändern, verwüsten hier: „Was haben wir angerichtet, wie konnte es soweit kommen,“ heißt es in einer melancholischen Coverversion, die es nicht aufs neue Album geschafft hat, weil sie sich erfolgreich und überzeugend gegen das 4-Minuten-Format wehrt. Die Folgen ahnt das singende Skalpell: „Die Klinge, über die ich springe, habe ich selbst geschliffen.“ Andreas Radlmaier

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