Irre Tat: Reichsbürger erschießt Polizeibeamten
Als Wolfgang P. noch Selbstverteidigungskurse an den Schulen im Umkreis seines Wohnorts Georgensgmünd (Kreis Roth) anbot, schien alles in Ordnung zu sein. Später markierte er sein Grundstück mit gelben Linien, brachte Schilder mit dem Spruch "Mein Wort ist hier Gesetz“ an und gab bei der Gemeinde seinen Personalausweis ab.
Nachbarn hielten den Kampfsportlehrer und Vermögensberater für einen mehr oder weniger harmlosen "Spinner“. Der Spinner, ein "Reichsbürger“, steht von Dienstag an in Nürnberg vor Gericht. Die Anklage: Mord, dreifacher versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung.
Plötzlich schoss er um sich
Die Opfer sind SEK-Beamte, die Wolfgang P. aufgrund einer Anordnung des Landratsamts seine mehr als 30 Schusswaffen abnehmen sollten. Doch der SEK-Einsatz wurde zur Tragödie: Während mehrere Polizeibeamte versuchten, seine Wohnungstüre aufzustemmen, gab er ohne Vorwarnung etwa ein Dutzend Schüsse aus einer 9-Millimeter-Pistole ab. Ein Beamter wurde tödlich getroffen, zwei weitere verletzt. Wolfgang P. ergab sich, als die Polizei die Schüsse erwiderte.
Einen Einblick in das krude Selbstverständnis von Wolfgang P. vermittelt die Plattform Youtube. Dort sind etliche Filmaufnahmen zu finden, die der Staatsanwaltschaft Nürnberg nicht besonders gut gefallen. Der "Kameramann“ bekam deshalb schon Schwierigkeiten, saß einige Wochen in U-Haft und erhielt erst im Frühjahr einen Strafbefehl dafür. Die Internet-Seite der fränkischen "Reichsbürger“-Gruppe, in der der angeklagte Todesschütze wie der "Boss“ auftritt, wurde mit Gerichtsbeschluss gesperrt, doch die Streifen landeten auf anderen Kanälen.
3.000 Reichsbürger in Bayern
Die Anziehungskraft der "Reichsbürger“, die die Bundesrepublik als nicht existent ansehen, lässt sich zumindest an den Zahlen des Innenministeriums bemessen. 3.000 davon sind in Bayern bekannt, gut 12.000 bundesweit. Die Zahl der Sympathisanten ist nicht bekannt.
Einige Sympathisanten allerdings, die im Zuge der Ermittlungen zum Mordkomplex in Georgensgmünd auffielen, machten den Fall noch brisanter. Zu "Reichsbürger“ Wolfgang P., so stellte sich schnell heraus, unterhielten auch Polizeibeamte private Kontakte. Als besonders heikel stellte sich in diesem Zusammenhang eine Spur heraus: Sie führte von dem jetzt Angeklagten direkt in jenes SEK, das den Einsatz ausführte. Wie tief der betroffene Beamte in den Fall verstrickt ist, soll ein eigenes Verfahren vor Gericht klären.
Weitere Waffen um Umlauf
Auf zwei andere Polizeibeamte, die Kontakt zu dem Georgensgmünder "Reichsbürger“ hatten, stießen die Ermittler bei der Suche nach den verschwundenen Waffen von Wolfgang P. Als das SEK seine Wohnung stürmte, waren bis auf die Mordwaffe alle anderen Waffen längst weg. Hatte er einen Tipp bekommen oder rechnete er ohnehin mit einer Beschlagnahmung? Entdeckt wurden die Waffen jedenfalls in einer verwaisten Holzkiste unter einer Autobahnbrücke und in einem Kellerverschlag eines Hauses, in dem einer der "Polizeikontakte“ wohnte.
Wolfgang P. hat bis jetzt keine wesentlichen Angaben gemacht und zu den Vorwürfen geschwiegen. Ändert sich das im Prozess? Klar ist anhand der Sitzungstermine, die sich bis mindestens in den Oktober ziehen werden, dass er seinen 50. Geburtstag Mitte September im Gefängnis feiern muss.
Zu den offenen Fragen gehören auch die Gründe für den Selbstmord eines weiteren SEK-Beamten. Er erschoss sich nur wenige Tage, nachdem die Verbindungen seines Kollegen zu den "Reichsbürgern“ aufgeflogen waren.
Ein genaues Motiv konnte nicht ermittelt werden.
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