Irgendwas heult immer
NÜRNBERG - Trockenübung am Brückenbau: Die Eröffnung des 15. Nürnberger Filmfestivals Türkei/Deutschland geriet langatmig.
Vor Mitternacht wird es am Spannendsten. Nervosität macht sich breit. Notausgänge in die kalte Nacht werden aufgerissen, das Saallicht flackert auf, ganze Besucherpulks brechen hektisch auf. Brandgeruch hatte sich breitgemacht. Geruchskino – das fehlt uns ja gerade noch in diesen Zeiten des „Avatar“-Augenbombardements. Zum Stoff auf der Leinwand – die Nürnberger Tafelhalle war zur Feier des Tages wieder umgerüstet zum Kinosaal – mochte der Geruch nicht so recht passen. Da verwirrte ein komischer Heiliger in Reha Erdems Winter-Parabel „Kosmos“ eine ganze türkische Garnisonsstadt. Und die Besucher des Filmfestivals Türkei/Deutschland gleich mit.
Etat-Engpässe werden bei diesem Festival traditionell ausgeglichen durch Engagement und Emotionen, hatte der moderierende Schauspieler Tim Seyfi irgendwann gesagt. Also ging den vollen Herzen der Mund wieder über bei dem zweistündigen Grußwort-Spalier der Zweisprachrohre mit sechs Rednern (von Bosch-Stiftung bis zur Generalkonsulin). Aber so mühsam und angestrengt wie bei der 15. Auflage war die Standortbestimmung hinterm roten Teppich schon seit Jahren nicht mehr geraten.
Eine Trockenübung der Brückenbauarbeiter. Der Filmkritiker Klaus Eder, der den Ehrenpreis erhielt, sah viel Nachholbedarf, um mit dem „wunderbaren Land der Türken“ zu „wirklicher Nachbarschaft“ zu finden. Festivalerfinder Adil Kaya quittierte die rhetorische Frage nach dem grenzübergreifenden Erfolg mit Albert Einstein: „Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man den Erfolg sofort sieht.“ Oberbürgermeister Ulrich Maly, der bei Kaya spöttelnd „ein griechisches Verhältnis“ zum Festival-Etat entdeckte, verwies darauf, dass dieser Kino-Pendelverkehr eine Möglichkeit sei, „die typischen deutschen Vorurteile gegenüber der Türkei zu zerschreddern, jedes Jahr“. Eine Art Kunst-Kniff im Naturheilverfahren. Auf dem Beipackzettel müsste dann stehen: „Vorsicht dieses Festival weitet Ihren Horizont!“
Einen abgelegenen „Kosmos“ präsentierte gleich der angereiste Regisseur Reha Erdem anschließend beim manieristischen Eröffnungsbrocken. Irgendwas heult in dieser schrägen Winter-Tristesse immer: Ein Hund, ein Herz, der Wind. Oder der Wunderheiler Kosmos, der als Derwisch mit Augenringen gleichzeitig Geld aus Ladenkassen klaut und schmerzende Waden, Köpfe, Lungen entgiftet. Und am Ende in die Schneeverwehung flieht, aus der er gekommen ist. Da hat sich auch die Tafelhalle geleert. Wegen des schmorenden Kunststoffteils in der Vorführkabine.
Am 13. März, am Ende des Marathons mit Wettbewerb und 70 Filmen, läuft „Kosmos“ wieder. Im Festsaal. Wo parallel vielleicht dann der „Berlinale“-Gewinner „Honig“ von Semih Kaplanoglu läuft (Entscheidung nächste Woche). Aber sicher Zülfü Livanelis Atatürk-Film. Die internationale Premiere wurde auf den 14. März, den letzten Festival-Tag, verschoben. Andreas Radlmaier
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