„In London wäre das nicht möglich“

NÜRNBERG - Der künstlerische Leiter des Internationalen Kammermusikfestivals über Wien als Klammer, die Rezession und den Standort Nürnberg.
Was als Party unter Freunden begann, ist längst zu einem der Höhepunkte im Nürnberger Kulturkalender geworden. Wenn am 11. September das 8. Internationale Kammermusikfestival die Konzertsaison anwärmt, werden an sechs Abenden unter dem Titel „Reise nach Wien“ eher unbekannte Werke von Komponisten wie Haydn, Beethoven, Schubert, Bruckner und Korngold gespielt. Einer der herausragenden Festival-Künstler ist Pianist Andrew West. Von der ersten Ausgabe an dabei, gehört er seit 2005 dem künstlerischen Leitungsteam um Frances Pappas und Peter Selwyn an.
AZ: Mr. West, neben ihrer Leitungsaufgabe sind Sie auch heuer wieder pianistisch im Dauereinsatz. Warum?
ANDREW WEST: Als künstlerischer Leiter neige ich natürlich dazu, die Stücke auszuwählen, die ich gerne spielen würde (lacht). Außerdem geht es darum, nicht mehr Pianisten zu bezahlen als nötig. Aber in diesem Jahr kommen noch Nicolas Rimmer und Rita Kaufmann dazu.
Sie begleiten Sänger und sind Teil von Kammermusikformationen, auch am selben Abend — ein schwieriger Wechsel?
Nein. Es ist schwer, innerhalb eines Konzerts von Liedbegleitung auf ein Solostück umzuschalten. Auch bei Liedbegleitung und Kammermusik gibt es Unterschiede, aber bei beidem muss man genau aufeinander hören und reagieren.
Apropos Geld — das Kammermusikfestival ist ja eine private Initiative. Wo kommt das Geld denn her?
Wir machen viel Fundraising, auch die Stadt unterstützt uns. Natürlich sind uns neue Sponsoren jederzeit willkommen. Aber in der Rezession ist das schwierig.
Sie zahlen keine Honorare wie die Salzburger Festspiele. Warum kommen die Künstler trotzdem?
Wegen der Atmosphäre der Stadt und des Festivals. Sie schätzen die effiziente Organisation, aber auch, dass es so ohne Konkurrenzdruck funktioniert. Jeder geht zum Beispiel zu den Konzerten der anderen, wenn er selbst nicht spielt. Es gibt auch keine Haupt- und Nebenkonzerte.
Nach dem etwas exotischen Frankreich-Ausflug ist das Programm in diesem Jahr klassisch-romantisch — ein Bonbon fürs Publikum?
Eigentlich nicht. Wir wollten ein paar spätromantische Stücke machen, Bruckner und Mahler zum Beispiel, die selten aufgeführt werden. Die einfachste Klammer war Wien, weil die Komponisten entweder dort geboren wurden oder dort gelebt und gearbeitet haben.
Beim Mahler-Abend werden die Lieder choreographiert. Besteht nicht die Gefahr der Überfrachtung?
Es ist ein Experiment. Und natürlich besteht die Gefahr, dass das Publikum visuell abgelenkt wird. Aber wir haben mit Absicht nicht die schwersten, tiefsten Lieder dafür ausgewählt wie die Rückert- oder Kindertotenlieder. Ich bin gespannt, was Ivo Bärtsch und Riika Läser daraus machen.
Das Festival wurde von Leuten gegründet, die am Opernhaus arbeiteten. Spätestens seit der Intendanz Theiler ist es damit vorbei.
Das ist ein Problem. In absehbarer Zeit wird niemand von der künstlerischen Leitung in Nürnberg sein. Das bedeutet einen ungeheuren Druck für unsere Geschäftsführerin Dorle Messerer-Schmidt, die vor Ort alles organisiert. Das wird nicht einfach.
Machen solche Schwierigkeiten und Außenerfolge wie die Einladung in die Londoner Wigmore Hall Nürnberg als Veranstaltungsort langfristig überflüssig?
Nein. Wir können die Stücke anderswo wiederholen. Aber das Festival lässt sich nicht umtopfen. Denn Teil dieser wunderbaren Atmosphäre ist die Nürnberger Altstadt, sind die kurzen Fußwege zwischen Hotel und Aufführungsorten. In London wäre das nicht möglich. Interview: Georg Kasch