In Erinnerung an Josef Naus: Jubeltour zur Zugspitze

AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz erinnert sich zum 200. Jahrestag der Erstbesteigung der Zugspitze an eine ganz besondere Wanderung mit zwei Kollegen.
von  Karl Stankiewitz
Deutschlands wohl bekanntestes Gipfelkreuz: Das der Zugspitze auf 2.962 Metern.
Deutschlands wohl bekanntestes Gipfelkreuz: Das der Zugspitze auf 2.962 Metern. © Felix Hörhager/dpa

München - Wir waren drei Schulfreunde: der Kurt, der Helmut und ich. Gemeinsam bastelten wir die erste Münchner Schulzeitung nach dem Krieg, die wir – frei nach Lenins Münchner Revolutionsschrift – "Funke" nannten. Folgerichtig landeten wir gleich nach dem im Wirtschaftsgymnasium geschafften Abitur bei der 1948 geborenen Abendzeitung und schrieben uns weiterhin die Finger wund.

Eines Tages beschlossen wir, kurzfristig auszusteigen und in unbekannte Höhen aufzusteigen. Der Redaktionskalender kündigte nämlich einen Jahrestag an: Am 27. August 1820 – am Donnerstag vor 200 Jahren – hatte der bayerische Leutnant Josef Naus als erster Mensch den höchsten Berg Deutschlands bestiegen, respektive "erobert", wie man damals gerne sagte.

Also auf zur Jubiläumstour zum 2.962 Meter hohen Gipfel der Zugspitze! Das alpine Wahrzeichen erschien mir wie ein Zauberberg, wie ein Mythos. Interessanter und märchenhafter noch als der damals viel genannte Nanga Parbat mit seiner Märchenwiese, der "Berg der Deutschen" hinten im Himalaja, den ein paar Jahre später der Tiroler Hermann Buhl bezwang. Wir planten das Abenteuer nicht etwa, um darüber im Blatt zu berichten, sondern "ganz privat" (so hieß damals eine tägliche AZ-Spalte).

Zugspitze: Trotz geringer bergsteigerischer Erfahrung zur Jubiläumstour

Am 27. August 1820 ist Josef Naus als erster Mensch auf den höchsten Berg Deutschlands gestiegen.
Am 27. August 1820 ist Josef Naus als erster Mensch auf den höchsten Berg Deutschlands gestiegen. © Zugspitzbahn

Aber weil jetzt der 200. Jahrestag jener alpinen Großtat bevorsteht, möchte ich doch mal Reste meiner Erinnerungen niederschreiben: Wir wollen nicht genau der Spur des Landvermessers Naus über das schattenlose Reintal folgen, denn das hätte laut Alpenvereinsführer bis zu neun Stunden gedauert – und der Jahrestag im Jahr 1950 sollte ein heißer Tag werden.

Wir wählen den kürzeren und interessanteren Aufstieg über die Höllentalklamm, die klassische touristische Route. Im Anorak steckt, außer Brotzeit und Ferngucker, das Büchlein "Bayerisches Hochland" von Hermann Kornacher.

"Große Anforderungen an Ausdauer, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit" setzt da unser Kollege voraus. Das trauten wir 22-Jährigen uns trotz geringer bergsteigerischer Erfahrung durchaus zu.

Das Toben des Baches wird so laut – man versteht nichts mehr

AZ-Reporter Karl Stankiewitz hat es Naus mit zwei Kollegen genau 130 Jahre später nachgemacht.
AZ-Reporter Karl Stankiewitz hat es Naus mit zwei Kollegen genau 130 Jahre später nachgemacht. © Karl Stankiewitz

Es schreckt uns auch nicht, als wir bald hinter der Klammeingangshütte lesen, der Weg "erschließt wilde Bergnatur", bei Unwetter solle man Schutz suchen in einem der Stollen. Dann folgt ein Steg mit zwei Brücken, zwölf Stollen, 150 Meter Steigung und zwei Stunden Gehzeit.

Das Toben des Hammersbaches wird stellenweise so laut, dass man die eigene Stimme nicht hört. Erst in 1.165 Metern Höhe weitet sich der Weg und ein grandioses Bergpanorama entfaltet sich. "Am bösen Ort" heißt die Passage, die nun an der von Höhlen durchbohrten Südostwand des Großen Waxenstein entlang führt. Dann zieht sich der Weg hinauf zur Höllentalangerhütte.

Vor Jahren hat der Alpenverein das alte Trumm von 1383 Meter Höhe herunter geholt und im Park seines Alpinen Museums in München aufgestellt. 200 Meter höher stehen bis heute die historischen Knappenhäuser, wo mein Freund Willy Michl 1974 die bayerische Fahne gehisst hat, um drei Sommer lang mit seiner Frau Eva Hüttenwirt zu spielen, bevor er Isarindianer wurde.

Als Willy Michl noch das Bier vom Kreuzeck schleppte

Der Weg führte vorbei an der Höllentalangerhütte.
Der Weg führte vorbei an der Höllentalangerhütte. © Karl Stankiewitz

Das Bier für die Wanderer musste er immer vom Kreuzeck heraufschleppen, das klare Quellwasser schenkte ihm der Große Geist. Gestärkt und unter Zuhilfenahme beider Hände queren wir dann, großenteils mit Drahtseil gesichert, ein Stück des Höllenttalferners und schließlich die Felsflanke, die am Münchner Haus endet.

An den Zeitaufwand kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an die Rückfahrt mit der Zahnradbahn. Wohl aber daran, dass Helmut – er war Gerichtsreporter der AZ – unterwegs mehrmals eine Kleiderbürste aus dem Rucksack zog, um sich vom Staub der Zugspitze zu reinigen.

Der Helmut war schon in der Schule ein feiner Pinkel, stolzierte gern mit Sombrero, wollte nach Kuba auswandern, wo damals noch kein Castro herrschte. Doch er starb früh – zu viel Stress, Nikotin und Alkohol.

Kurt, damals Lokalreporter und später Chefredakteur von "Eltern", lebt heute im feinen Augustinum. Und ich schreibe weiter.


Der Beitrag stützt sich u.a. auf "Babylon in Bayern" und "Wilde Wasser" von Karl Stankiewitz.

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