„In dieser schnellen Zeit feiern wir die Langsamkeit“
Franz Xaver Gernstl (59), Dokumentar-Filmer mit Kult-Status, über Menschen, die ihn beeindrucken, seine unverkennbare journalistische Arbeit, warum er Kollegen „öfter mal erschlagen“ könnte – und was für ihn Glück bedeutet
AZ: Grüß Gott, Herr Gernstl.
FRANZ X. GERNSTL: Guten Abend.
... Und jetzt?
Ich versuche gerade den Gernstl: Grüß Gott sagen, lächeln und abwarten, ob der andere was sagt. Sie zeichnen sich in „Gernstl unterwegs“ ja nicht nur durch Ihre Fragen, sondern auch durch Ihr Schweigen aus.
Ach so, ja. Ich lasse den Menschen gerne Luft.
Aber diese Luft im Interview, diese Pausen – die sind für Journalisten ja doch gemeinhin eher ein Grund, in Panik auszubrechen.
Das kenne ich auch, das muss auch ich aushalten. Bei nur einer Sekunde Pause denkt man ja gleich: Ich hab’ was falsch gemacht. Aber die Leute, mit denen ich rede, merken, dass sie sich einfach Zeit lassen können.
Für eine „Gernstl“-Folge, deren Sendetermin noch nicht feststeht, ziehen Sie, Ihr Kameramann Hans Peter Fischer und Tonmann Stefan Ravasz derzeit durch Mittelfranken. Wem sind Sie schon begegnet?
Dem Bauern Fritz Stiegler aus Gonnersdorf, der vom Tabakbauern auf die Haselnuss umgeschwenkt ist und nebenher noch zwei Musicals geschrieben hat. Und einem Bogenschützen. Der schießt schon seit 30 Jahren. Es ist faszinierend, wie geerdet dieser Mensch ist.
Zwei starke Typen?
Definitiv. Beide haben eine Leidenschaft. Das sind die Menschen, die mich interessieren. Und es ist schön, wenn sie mir davon erzählen.
Bei Ihren Figuren geht es immer auch um Authentizität, um Identität. Gibt es da eine Parallele zu Ihrem Leben?
Sie meinen, ob ich auch versuche, so ganz bei mir zu sein?
Ja, wobei Sie zumindest so wirken, als seien Sie das bereits.
(Lacht) Nein, nein, man bemüht sich darum natürlich im Laufe des Lebens. Aber es ist schwierig, sich so zu nehmen, wie man ist, mit all seinen Fehlern. Darum bemüh’ ich mich, aber das dauert noch an. Ich lese gerade das Buch „Fuck it“ von John C. Parkin. Da geht’s darum, den Dingen um einen herum nicht so viel Bedeutung zuzumessen.
Was wären denn das für Dinge, zu denen der Franz Xaver Gernstl gerne Fuck it! sagen würde?
Naja: Ich bin genant, ängstlich, mache mir oft zu viele Sorgen, außerdem komme ich oft zu zurückhaltend daher und lass mir übers Maul fahren. Aber das nehm’ ich jetzt einfach hin, ich weiß um meine Ecken und Kanten.
Und Sie sind tatsächlich genant, also auch schüchtern?
Ja. Früher mehr als heute, aber es stimmt immer noch.
Also ist die Zurückhaltung in den Interviews kein Kalkül?
Nein, die ist nicht gespielt. Ich habe keine Angst vor den Leuten, aber ich habe immer Angst, allzu direkte Fragen zu stellen. Auch, weil ich die Leute nicht in eine Situation bringen möchte, dass sie eine Frage nicht beantworten können.
Natürlich, Antworten zu kriegen ist immer schön. Vor allem, wenn es so offene sind wie von Ihnen jetzt.
Besonders schön ist aber, wenn die Leute sich selbst die Hauptfrage stellen – und das vielleicht zum ersten Mal.
Die Hauptfrage?
Ja, nämlich die nach dem Grund, warum sie das tun, was ihr Leben ausmacht. Denn dann beginnen die Menschen zu grübeln, weil sie sich die Frage noch nie selbst gestellt haben.
Sie haben ja ganz anders angefangen: als Bankkaufmann.
Ich hätte sogar die Filiale übernehmen sollen. Aber es war die Hippie-Zeit: Die anderen hatten lange Haare, ich einen Anzug – das war’s einfach nicht.
Über ein Praktikum sind Sie beim BR reingerutscht, haben dann Kindersendungen gemacht.
„Da schau her“, das war ein bisschen „Sendung mit der Maus“. Mein erster größerer Film war über einen jungen Rekruten bei der Bundeswehr.
Und? Haben Sie gedient?
Nein.
Dann durften Sie die naivsten Fragen stellen, oder?
Ja, das war wie mit dem Fußballmagazin, das ich mit Paul Breitner gemacht habe. Denn von Fußball hatte ich auch keine Ahnung. Damals zumindest konnte ich aber immerhin die Abseitsfalle erklären. Aber mir ist dann eingefallen, was ich wirklich machen wollte: in der Gegend herumfahren und Filme machen. Der BR fand die Idee ganz gut. Aber wir brauchten ein Konzept.
Ein Konzept für die gespielte Konzeptlosigkeit?
Das war’s ja. Aber die haben es uns trotzdem abgenommen. Anfangs hieß die Serie „10 Grad östlicher Länge“.
Wann kam der Gernstl?
Auf die Idee kam ein Praktikant, der fragte, warum wir’s nicht einfach „Gernstl unterwegs“ nannten.
Was heute eine Marke mit Kultcharakter ist. Wie fühlt man sich als Fleisch gewordener Wiedererkennungswert?
Am Anfang war es komisch. Ich hatte früher sogar Probleme gehabt, den Titel der Sendung anzusagen.
Der Gernstl ist aber nicht nur der Gernstl allein. Seit 30 Jahren drehen Sie mit Hans Peter Fischer und Stefan Ravasz.
Und kennen tun wir uns schon viel länger. Die beiden sind meine besten Freunde. Mit dem Hans Peter hat das so angefangen, dass ich ihm die Freundin ausgespannt habe. Aber die hat uns dann mit einem Nürnberger Lebkuchenfabrikanten betrogen. Daraufhin haben wir zwei Männer uns verbündet. Bis heute.
Ist es einfacher, dick in diesem Geschäft befreundet zu sein, oder eher schwieriger?
Jeder von uns hat schon in den Wunden des anderen gebohrt und Salz reingerieben, Wir haben gemeinsam die Wunden geleckt und die Hosen heruntergelassen. Es gibt nichts Falsches mehr. Wir müssen dem anderen nichts mehr vormachen. Und wenn der Stefan ein Tonproblem hat, dann ist er tagelang schlecht drauf. Er ist ein ausgesprochen guter Tonmann, dem Stimmen wahnsinnig viel verraten.
Wie das?
Wenn wir abends im Hotelzimmer das Material sichten, hat sich oft bewiesen, dass er recht mit dem Interviewten hat: Er hat an der Stimme rausgehört, ob der was taugt oder nicht. Ob der authentisch ist oder ein Angeber. Klar, wenn’s ein echter Depp war, dann krieg ich das mit. Aber der Stefan, der hat feinere Antennen.
Gibt’s auch mal Streit?
Klar, es geht immer mal was schief. Ich könnte meine Kompagnons öfter mal erschlagen: Gerade wenn’s spannend wird, muss der eine ein neues Band einlegen oder dem anderen geht gerade der Akku flöten. Ich habe mir immer eingeredet, Filmen mache Spaß. Aber es macht keinen Spaß.
Wie bitte?
Doch. Das ist wie Angeln. Spaß macht’s erst, wenn man den Fisch rausholt. Angeln selbst macht keinen Spaß. Wie das Filme-Machen. Der BR bestellt die Sendung bei meiner Firma Megaherz, die ich mit Fidelis Mager in München betreibe. Dafür gibt es einen Festpreis – egal, ob es regnet, ob die Menschen, die ich suche, zuhause sind, ob die mit mir reden wollen, ob die gut sind oder schlecht. Aber wenn man einen guten Fisch rausgezogen hat, so wie den Stieglers Fritz oder den Bogenschützen, dann macht’s Spaß.
Mit der Kameraführung gilt „Gernstl unterwegs“ als Dinosaurier; wegen der Ruhe, die die Bilder auslösen.
Das kommt darauf an, ob der Kameramann Liebeskummer hat oder nicht. Nein, im Ernst, wir sind schon viel schneller und professioneller geworden. Einige unserer alten Filme waren eine Zumutung für die Zuschauer. Aber es ist richtig: In Zeiten, in denen alles präzise, schnell und absichtlich passiert, feiern wir die Langsamkeit. Das mache ich privat auch gerne. Ich bin ein guter Trödler.
Im Beruf haben Sie aber nicht getrödelt. Sie haben mit etwa 3000 Menschen für „Gernstl unterwegs“ gesprochen.
... und ich kann mich an fast alle erinnern. Kontakt habe ich zu den wenigsten, das wären ein paar zu viele Freunde.
Ein schöner Job. Sie unterhalten sich mit Menschen, die gerne tun, was sie tun. Das ist weit entfernt von Problemfernsehen.
Das interessiert mich auch nicht. Ich möchte meine politische Meinung nicht im Fernsehen kundtun.
Wie ist die denn?
Die war mal sehr links, aber mittlerweile langweilen sie mich alle. Momentan ist mir ein g’scherter, intelligenter CSUler lieber.
Wie links waren Sie denn?
Mein Freund, der Hans Peter, war immerhin mal Öffentlichkeitsreferent der DKP München, Sektion Mitte-Süd, das heißt, der musste Plakate kleben. Da bin ich mitgegangen. Aber um ehrlich zu sein: nur, weil es dort die besseren Weiber gab. Es ist überhaupt nicht mein Ansinnen, meine politische Meinung unters Volk zu bringen.
Um was geht’s dem Gernstl dann?
Ich möchte den Leuten einfach zeigen, dass das Leben relativ einfach geht, wenn man bei sich selbst ist und wenn man sich selbst über den Weg traut. Und dass es Menschen gibt, die wissen, wie das geht.
Was macht denn den Gernstl glücklich?
Wenn ich heute Abend im Hotel die Filme sichte und weiß: Wir haben nichts falsch gemacht; abends auf dem Balkon sitzen mit einem Flascherl Wein. Ich kann’s nicht richtig festmachen, auch eine gute Wurst macht mich glücklich. Das Glück hält nicht lange an, und ich bin auch nicht auf der Suche danach. Man muss sich mit dem Unglück anfreunden, mit dem ganzen frustrierenden Mist im Leben. Ich kann mit dem Scheitern ganz gut leben.
Also: Fuck it?
Jawoll: Fuck it!
Interview: Susanne Will
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