Immer mehr Städte bieten Senioren Anreize für Führerscheinrückgabe

München - Vor mehr als 16 Jahren hat Elise Kühnlein beschlossen, nicht mehr Auto zu fahren. Die heute 84-Jährige aus Schwabach verlor nach einem Infarkt auf dem rechten Auge 80 Prozent ihrer Sehkraft. Dennoch sei sie eineinhalb Jahre lang weiter am Steuer gesessen, erzählt Kühnlein. Dabei fühlte sie sich immer unwohler. "Einmal habe ich Nachbars Gartenzaun mitgenommen", erinnert sich die Seniorin. Ein anderes Mal hatte sie den Abstand falsch eingeschätzt und ein geparktes Auto gestreift. "Dann war mir klar: Jetzt musst du aufhören, bevor noch etwas Schlimmeres passiert."
Also verkaufte sie ihr Auto. Ihren Führerschein behielt sie aber vorerst - bis die Stadt Schwabach 2010 Senioren eine kostenlose Halbjahreskarte für den Bus anbot, wenn diese freiwillig ihren Führerschein abgeben.
Immer mehr bayerische Städte bieten Senioren kostenlose Fahrkarten an, wenn diese ihren Führerschein zurückgeben. Solche Angebote gibt es unter anderem in Augsburg, Ingolstadt, Würzburg, Fürth und Landshut, wie eine Umfrage der Deutschen Presseagentur bei Bayerns bevölkerungsreichsten Städten ergab. Nürnberg, Bayreuth und Kempten überprüfen derzeit ähnliche Angebote.
München bietet keine Anreize für Führerscheinrückgabe
Die bayerische Landeshauptstadt bietet ihren Bürgern keine Anreize für eine Führerscheinrückgabe. Der Münchner Stadtrat lehnte einen entsprechenden Antrag im Mai 2016 ab, wie ein Sprecher der Stadt mitteilte.
Während es in Städten wie Fürth, Ingolstadt und Landshut bereits seit mehreren Jahren kostenfreie Tickets gibt, zog die Stadt Augsburg erst vor kurzem nach. Bürger ab 65 Jahren können ihre Fahrerlaubnis gegen eine kostenlose Jahreskarte für den Nahverkehr tauschen. Die Aktion war bis Ende Mai befristet, soll aber im Oktober und November fortgesetzt werden und dann jährlich im Herbst stattfinden. Während in Augsburg in den Jahren 2017 und 2018 die Zahl der freiwilligen Führerscheinabgaben "vernachlässigbar gering" war, stieg die Zahl seit der Einführung des Angebotes im April 2019 enorm an, teilte eine Sprecherin der Stadt auf Anfrage mit. Bis Mitte Mai hatten es demnach bereits 550 Berechtigte genutzt.
Die Landesseniorenvertretung Bayern (LSVB) begrüßte die Angebote der Städte. Viele Senioren fühlen sich beim Autofahren nicht mehr ganz sicher, wie Franz Wölfl, Sprecher der LSVB, mitteilte. Kostenlose Fahrkarten können "in vielen Fällen das Tüpfelchen auf dem i sein, um sich für den ÖPNV zu entscheiden", so Wölfl.
Dennoch verzichten insgesamt nur wenige ältere Menschen auf ihre Fahrerlaubnis. 2018 gaben in Würzburg sechs Senioren ihren Führerschein aus freien Stücken ab, in Fürth verzichteten 21 Senioren, in Landshut 66. 100 Ältere entschieden sich in Ingolstadt für die Rückgabe. Die Stadt München führt dazu keine Statistik, schätzte die Zahl jedoch auf rund fünf bis zehn Fälle pro Jahr. "In vielen Fällen entscheiden sich die Senioren aber alleine oder in Absprache mit ihrer Familie einfach, nicht mehr zu fahren. Der Führerschein bleibt dann in der Schublade und wird nicht mehr genutzt", sagte ein Sprecher der Stadt München.
Viele Senioren fürchten um ihre Mobilität
Auch Franz Wölfl entschied sich dafür, seinen Führerschein zu behalten. "Mit 70 Jahren fühle ich mich noch zu jung, um auf Dauer auf den ÖPNV umzusteigen", sagt der LSVB-Sprecher, der in Landshut lebt und dort vom sogenannten "Führerschein-Abo 70 plus" Gebrauch machen könnte. Ähnlich wie ihm gehe es vielen Senioren. "Die Menschen haben, berechtigt oder unberechtigt, Angst, ihre Mobilität und damit die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestimmen, zu verlieren", sagt Wölfl.
Die weit verbreitete Meinung, dass die Gruppe ältere Autofahrer überdurchschnittlich viele schwere Unfälle verursacht, kann durch die Unfallstatistik nicht bestätigt werden, wie eine Sprecherin des ADAC mitteilte. Außerdem ist nach Angaben des ADAC nicht das Lebensalter für eine unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr entscheidend, sondern der Gesundheitszustand und die Fahrroutine. "Ältere Fahrer zeichnen sich in der Regel durch einen an die Situation angepassten Fahrstil sowie durch vorausschauendes Fahren aus", so die Sprecherin.
Elise Kühnlein wollte vor mehr als 16 Jahren auf Nummer sicher gehen. Ein halbes Jahr lang fuhr sie kostenlos mit dem Bus durch Schwabach. Mittlerweile erledigt sie vieles zu Fuß. "Es ist gut, wenn man läuft, dann bleibt man mobil", sagt die 84-Jährige. Das Autofahren vermisse sie zwar, aber "irgendwann muss man eh aufhören."
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