Immer mehr Nürnberger verlassen die Kirchen
Heuer kehrten ihnen 3040 Christen den Rücken. Fälle von sexuellem Missbrauch sorgten für eine regelrechte Austritts-Welle bei den Katholiken
NÜRNBERG Heiligabend rückt immer näher, die letzten Vorbereitungen werden getroffen, die letzten Geschenke gekauft. Die Kassen des Einzelhandels füllen sich. Doch wie voll werden heuer die Kirchenbänke sein? Schließlich hat die Kirche ein turbulentes Jahr hinter sich. Die vielen bekannt gewordenen Missbrauchsfälle hinterließen Spuren bei den Gläubigen. So viele wie nie haben daher auch in Nürnberg der Kirche den Rücken gekehrt...
Insgesamt 3040 Christen sind dieses Jahr in der Stadt ausgetreten. Auffallend jedoch ist der Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken. Während bei der evangelischen Kirche 1306 Nürnberger austraten, waren es bei der katholischen Kirche 1623.
Die Begründung dafür liegt nahe: Die Missbrauchsfälle waren einfach „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, so Silvia Jühle, Pressereferentin des evangelischen Dekanats Nürnberg. Sie sagt aber auch: „Die Menschen in unserer Gesellschaft wollen sich nicht mehr fest binden.“
"Die Gläubigen fühlen sich in der Kirche nicht mehr geborgen"
Als immer mehr Missbrauchsfälle aufgedeckt wurden, stiegen in Nürnberg die Austrittszahlen auf 507 im Monat an. Der katholische Stadtdekan Nürnbergs, Hubertus Förster, räumt selbstkritisch ein: „Die Menschen sind enttäuscht. Die Gläubigen fühlen sich in der Kirche nicht mehr geborgen.“ Dass die katholische Kirche in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt ist, zeigen auch die rund 200 Übertritte von Katholiken in die evangelische Kirche.
Als einen guten ersten Schritt sieht Förster die notwendigen Reformen, die die Kirche demnächst anpacken muss – etwa die Möglichkeit, dass Geschiedene wieder an der Kommunion teilnehmen dürfen. „Die Menschen müssen sehen, dass was getan wird.“
Gerade im Hinblick auf Heiligabend ruft er Unentschlossene zum Kirchgang auf, will seine Schäfchen um sich scharen: „Wenn ich einen Bezug zu Gott habe, dann trägt er mich durchs Leben, und ich kann einiges verkraften.“ fw
Gehen die Nürnberger an Weihnachten in den Gottesdienst? Eine Umfrage finden Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Donnerstag, 23.12.