Immer mehr Gewalt – was sollen wir tun?
Wegschauen oder einmischen: Innenminister und Chef der Polizeigewerkschaft streiten über das richtige Verhalten bei Attacken in der U-Bahn. Was meinen Sie?
NÜRNBERG Die Fälle häufen sich. Im U-Bahnhof Langwasser prügelte ein Brutalo (24) einen 35-Jährigen nieder. Er schlug sein Opfer auf den Kopf, wollte es auf die Gleise stoßen und trat noch mehrfach zu, als sich der Mann schon vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Der 24-Jährige floh erst, als ein Fahrgast auf den Bahnsteig kam.
Solche brutalen Übergriffe sind kein Einzelfall. In München starb Dominik Brunner an einer S-Bahn-Haltstelle. Er hatte sich schützend vor vier Kinder gestellt, die von Jugendlichen angepöbelt wurden. Daraufhin wurde er von zwei der Jugendlichen erschlagen. Denen wird jetzt in München der Prozesse gemacht (siehe AZ-Printausgabe, S. 7).
Auch in unserer U-Bahn kommt es immer wieder zu brutalen Attacken. So griffen im November sechs Jugendliche einen arglosen Fahrgast an. Zwei Zivilbeamte, die zufällig mit im Zug saßen, konnten Schlimmeres verhindern. Im U-Bahnhof Plärrer attackierten zwei Schüler (15) einen Fahrgast mit Füßen und Fäusten. In Fürth prügelte ein ebenfalls 15-Jähriger einen Mann fast zu Tode. Er wurde zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Doch was sollen Zeugen einer Schlägerei tun? Sollen sie Zivilcourage zeigen und sich einmischen? Oder sollen sie schweigen und so schnell wie möglich die Polizei informieren? Über das richtige Verhalten streiten jetzt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Konrad Freiberg, der Chef der Gewerkschaft der Polizei. Die AZ stellt die Positionen vor.
Der Minister: Zivilcourage!
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann setzt auf die Verantwortung jedes einzelnen Bürgers. „Wir erleben es immer wieder, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger für ihre Mitmenschen in Gefahrensituationen einsetzen. Das zeigen die vielen Beispiele in den vergangenen Wochen. Es ist wichtig, dass wir diesen Trend zu mehr Zivilcourage stärken“, sagt er. „Hinsehen, Handeln und Helfen“ seien Grundwerte unserer Gesellschaft.
„Wir brauchen noch mehr Menschen, die – wie Dominik Brunner - Zivilcourage zeigen und so beweisen, dass ihnen die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Mitmenschen am Herzen liegen“, lobt Herrmann den Einsatz Brunners. „Je öfter wir alle mit der gebotenen Vorsicht bei Gewalt im Alltag hinschauen und uns dagegen wehren, desto nachhaltiger sorgen wir für mehr Sicherheit und damit auch für mehr Lebensqualität.“ Zur Verbesserung der Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln setzt Herrmann auf stärkere Videoüberwachung an Bahnhöfen und in Zügen sowie eine größere Präsenz von Sicherheitsdiensten und Polizei. Zugleich tritt er aber dem Eindruck entgegen, dass die Gewalt in Bussen und Bahnen zunehme: „In Bayern sind die Gewaltdelikte im Öffentlichen Personennahverkehr im Jahr 2008 gegenüber 2007 um 3,4 Prozent auf 415 Straftaten gesunken. Der Trend für 2009 deutet auf ähnliche Zahlen hin.“
Der Polizist: Nichts sagen!
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält nichts von zu viel Zivilcourage im Kampf gegen Gewalt in öffentlichen Verkehrsmitteln. „Davon rate ich dringend ab“, sagt der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg. „Jeder, der U-Bahn fährt, weiß, dass schon ein paar mahnende Worte gegenüber einer lärmenden Schülergruppe der Beginn einer unheilvollen Eskalation sein können.“ Da sei es besser zu schweigen, zum Handy zu greifen und den Vorfall zu melden. Freiberg lobt das Vorhaben eines großen Verkehrsverbunds im Ruhrgebiet, Zugangskontrollen einzurichten. Ziel sei es, dass niemand ohne Fahrkarte auf den Bahnsteig kommt. „Auch in New York hat man gute Erfahrungen damit gemacht in der wohl richtigen Annahme, dass jemand, der randalieren will, vorher bestimmt nicht erst brav eine Fahrkarte kauft.“
Freiberg sieht eine stetige Zunahme der Übergriffe auf Fahrgäste und das Personal: „Wenn es zu Gewalt kommt, dann wird sie immer brutaler.“ Und auch die Vandalismusschäden nähmen von Jahr zu Jahr zu. Die Betreiber müssten verpflichtet werden, mehr Personal einzusetzen: „Die öffentlichen Verkehrsmittel müssen von den wenigen, die sie missbrauchen, für die Millionen Bürger, die sie benutzen, zurückerobert werden. Das geht nur mit einer deutlichen Präsenz von Sicherheitskräften, die auch eingreifen und asoziales Verhalten ahnden.“
Michael Reiner